Umgang mit der Bibel

Wie gehen wir damit um, dass die Bibel in einem ganz anderen kulturellen Hintergrund geschrieben wurde?
Umgang mit der Bibel

1. Kulturen in der Bibel

Wenn wir die Bibel aufschlagen und irgendwo zu lesen beginnen, merken wir auf Anhieb: wir befinden uns in fremden Kulturkreisen. Da staunen wir über Schilderungen vom Nomadenleben der altorientalischen mittleren Bronzezeit (Abraham und Nachkommen), oder der frühen und mittleren Eisenzeit (Saul, David, Könige). Wir lesen von „politischen Großmächten“, wie Ägypten, Babylon oder Persien, sowie von kanaanäischen Stadtstaaten.

Demgegenüber sind die Schriften des Neuen Testaments in den Kontext des Römischen Weltreiches und der römischen Kultur eingebettet. Jesus und die Gläubigen der ersten Generation waren alle Juden. Dieses Israelitisch-Jüdische prägt zusätzlich die Schriften des Neuen Testaments mit ihren Riten und Lehren, die uns heute oftmals fremd erscheinen.

Nachdem das Evangelium die Grenzen Israels und des Jüdischen überwunden hat, treten weitere Kulturphänomene dieser Epoche auf, z.B. Philosophien griechischer Philosophenschulen, verschiedene Kulte und Religionen aus dem römischen Viel-Völkerreich.

Das alles finden wir in der Bibel vor. Gott offenbart sein Wesen und seine Wahrheit unter Menschen in ihrer ganz normalen Umwelt. Christen folgen eben keinen Mythen oder „Götter-sagen“ (vgl. 2. Petrus 1,16), sondern Offenbarungen Gottes (vgl. Galater 1,11-17). Sie wurden in unterschiedlichen Kulturkreisen, zu unterschiedlichen Zeiten offenbart.

Als ein Beispiel kann das merkwürdige Verhalten Gottes dienen, als er seinen Bund mit Abraham schließt (1. Mose 15,9-11.17-18): Tiere werden geschlachtet und die Hälften gegenüber auf den Boden gelegt. Dazwischen bleibt eine Gasse frei. Wenn man einige Gesichtspunkte des „altorientalischen Vertragswesens“ kennt, kann man besser verstehen, was hier geschieht: Die geschlachteten Tiere gehören mit zum „Vertragsabschluss“, wie er unter einigen der damaligen Kulturkreise bekannt war. Beide Vertragspartner müssen die Gasse zwischen den geschlachteten Tieren durchschreiten. Damit geben sie zu verstehen: „Wenn ich den Vertrag brechen sollte, soll es mir so ergehen, wie diesen geschlachteten Tieren.“ Die rechtliche Verbindlichkeit der beiden Bundes- bzw. Vertragspartner zeigte sich auf diese drastische Weise. Hintergrundwissen zu den Kulturen und zur Umwelt der Bibel ist entscheidend. Es hilft Texte richtig zu verstehen und auszulegen.

In 1. Mose 15 betritt Gott allein diese Gasse durch eine Feuerfackel, während Abraham schläft. Es wird klar, dass einzig Gott für die Zuverlässigkeit dieses Bundes zur Verantwortung gezogen werden kann. Der Vertrag ist einseitig und „gottlastig“! Er steht und fällt allein mit Gott. Der Mensch Abraham ist entlastet. So benutzt Gott den Ritus eines typisch altorientalischen Vertragsabschlusses, um seine Absichten kundzutun!

Im Neuen Testament gibt es ähnliche Beispiele. Wieso kann das Essen von Fleisch, das auf einem Markt in Korinth gekauft wurde, für einige Christen eine tiefe Glaubenskrise auslösen (1. Korinther 8)?

Damals gab es in der nicht-jüdischen Welt unterschiedliche Praktiken der Schlachtung von Tieren und der Fleischzubereitung. Das Fleisch auf einem griechischen Markt wurde häufig Göttern geweiht, bevor man es verkaufte. Dieses Wissen verursachte bei einigen Christen innere Unruhe. Wahrscheinlich dachten sie, sie könnten sich mit dem Genuss dieses Fleisches „dämonisch“ verunreinigen.

Diese Situation wird vor dem kulturellen Hintergrund verständlich. Und mitten in diese scheinbar zeitbedingte Diskussion teilt Paulus den Korinthern eine göttliche Wahrheit mit. Sie ist unabhängig von der Situation und betrifft das Glaubensleben aller Christen: „Erkenntnis bläht auf, Liebe baut auf“ (1. Korinther 8,1). Der Umgang mit schwachen Christen fordert von reifen ein Verhalten in verantwortlicher Liebe. Das beinhaltet, dass sie um der Schwachen willen freiwillig auf Vorrechte und auf ihre christliche Freiheit verzichten.

Hintergrundwissen zu den Kulturen und zur Umwelt der Bibel ist entscheidend. Es hilft Texte richtig zu verstehen und auszulegen.

2. Gültigkeit von Gottes Wahrheit, trotz kultureller Einbettung

Kann es sein, dass bestimmte Aussagen der Bibel nur „kulturbedingt“ sind und gar nicht zeitlos gültig sein wollen? Gelten bestimmte Aussagen der Apostel für uns Christen heute nicht mehr, weil sich die kulturelle Situation vollständig geändert hat?

Kulturelle Hintergründe sind kein Grund biblische Aussagen für ungültig zu erklären.

  1. Gottes Wahrheiten, die er ausgewählten Menschen offenbarte, sind (fast) immer eingebettet in kulturelle Situationen.
  2. Die kulturelle Situation hebt nicht ohne Weiteres eine Wahrheit auf oder erlaubt biblische Aussagen aufgrund kultureller Besonderheiten zu streichen. Wäre das so, würde die Bibel zum Steinbruch. Je nach Geschmack des Bibellesers filtert er das Verbindliche und sortiert das Unliebsame aus.

Ein wichtiger Grundsatz lautet:

„Alle Schrift ist von Gott ‚geist-gehaucht‘ und nützlich zur Lehre“ (2. Timotheus 3,16).

Diese kurzen Gedanken zur Vollmacht des Bibelwortes als Gottes Wort sollten uns davor hüten leichtfertig Bibelworte auszuschließen, weil sie angeblich einem anderen Kulturkreis entstammen und daher uns heute nichts mehr angehen.

3. Über die Gültigkeit entscheidet der heilsgeschichtliche Blickwinkel

Nicht jede Bibelstelle darf direkt auf Christen angewendet werden (Beispielsweise den Vollzug der Todesstrafe bei Vergehen in den 5 Büchern Mose, z.B. Aufgrund einer Verfluchung der Eltern in 3. Mose 20,9 oder aufgrund des Über die Gültigkeit entscheidet der heilsgeschichtliche Blickwinkel Holzsammelns am Sabbat in 4. Mose 15,32f.). Über die Gültigkeit entscheidet der heilsgeschichtliche Blickwinkel. Wir müssen die Bibel heilsgeschichtlich auslegen, damit wir sie nicht missverstehen oder falsch anwenden.

Dabei bleibt wahr, dass jede Bibelstelle mich persönlich ansprechen kann (2. Timotheus 3,16; 1. Korinther 10,6; u.a.). Aber nicht jede Bibelstelle ist als verbindliche Lehre direkt auf Christen anwendbar. Doch nicht die kulturelle Situation bzw. eine angebliche kulturelle Bedingtheit schließt eine Aussage der Bibel für „Christen heute“ als „ungültig“ aus, sondern die gewissenhafte Erforschung des heilsgeschichtlichen Ortes erlaubt das allein in einem zu verantwortenden und begrenzten Rahmen.

4. Gottes Wort verändert Kulturen – weltweit

Die Bibel verändert Kulturen. Sie verändert immer dann, wenn das Evangelium dort ankommt, indem es gepredigt, gehört und geglaubt wird. Plötzlich werden Sklavenhalter für ihre Sklaven zu „Brüdern in Christus“, die sogar dazu beitragen, die Sklaverei abzuschaffen (vgl. das Anliegen des Philemonbriefes). Da werden übliche und gesellschaftlich tolerierte Sexualpraktiken gemieden (Tempelprostitution; 1. Korinther 6). Je mehr Menschen zum Glauben an Christus finden, desto mehr wird Gottes Wille im Gemeinwesen über die Gemeindegrenzen hinaus Einfluss nehmen (oder eben auf Widerstand und Verfolgung stoßen; vgl. Apostelgeschichte 19,17-40). Menschen wie Kulturen können nicht bleiben wie sie sind, sobald Christus im Evangelium dort Fuß gefasst hat. Und das ist gut so!

Die Wahrheit von Christus, dem Erlöser, verändert Menschen, Gesellschaften und Kulturen.