Wie entstehen einseitige biblische Lehren?

Wie entsteht eine biblische Lehre? Es mag komisch klingen, aber biblische Lehren kann man üblicherweise nicht einfach der Bibel entnehmen. Jedenfalls nicht …
Wie entstehen einseitige biblische Lehren?

Wie entsteht eine biblische Lehre?

Es mag komisch klingen, aber biblische Lehren kann man üblicherweise nicht einfach der Bibel entnehmen. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass wir eine Seite aufschlagen, und an einer Stelle alles finden, was uns zu einem Thema mitgeteilt ist oder interessiert. Wer etwas über Engel wissen will, muss viele Texte lesen. Vielleicht 30. Wenn man die alle liest, versteht und zu einer Lehre zusammensetzt, dann hat man im glücklichsten Fall eine „biblische Lehre über Engel“. Aber nur im glücklichsten Fall, denn auf dem Weg zwischen Bibeltext und fertiger Lehre gibt es einige Hindernisse, die mein Ergebnis nachteilig beeinflussen können:
• Habe ich überhaupt alle Texte gefunden? Es könnte wichtige Texte geben, die ich verfehle, weil ich nur unter dem Stichwort „Engel“ suche. Aber unter „Cherubim“ würde ich auch noch eine Reihe Texte finden. Wenn mir ein ganzes Spektrum an eigentlich relevanten Texten fehlt, wird mein Ergebnis unreifer.
• Habe ich die Texte richtig gewichtet? Eine klare Aussage in einem Lehrtext hat mehr Gewicht als ein beiläufig erzähltes Beispiel. Es ist ein auch ein Unterschied, ob der Herr Jesus etwas erklärt oder ob die Freunde Hiobs reden. Die äußern sich zwar zu vielen Themen, aber nicht immer fahren sie wirklich rechts.
• Verstehen ich den Text richtig? Es gibt schwierige, uneindeutige Texte. Manchmal trifft man auf eine Erklärungsgewissheit, die vermuten lässt, dass die Schwierigkeiten eines Textes noch gar nicht erfasst sind.
• Wo ist mein Text in der Heilsgeschichte bzw. der Offenbarungsgeschichte angesiedelt? Nicht alle Texte haben in jeder Epoche der Menschheitsgeschichte die gleiche Bedeutung.
• Was sind die wesentlichen „Sockeltexte“, auf die sich eine Lehre gründet? Auslegung von Bildern, Schlussfolgerungen um drei Ecken oder emotionale Argumente reichen als Grundlage nicht aus. Es sollte wenigstens eine Schriftstelle geben, in der der Kern der Lehre mit klaren Worten beschrieben ist.

Das heißt im Klartext: Jede Lehrbildung hat ein menschliches Element und ist damit anfällig für Irrtum. Die zugrundeliegenden Texte sind ohne Fehler, denn sie sind Gottes Wort. Wie wir sie aber auswählen und zu einer Lehre verbinden, ist „Menschenwerk“. Das ist die dünnste Stelle im System. Deshalb müssen wir über Lehren immer wieder nachdenken und ihre Herleitung verstehen. Meist werden wir sie bestätigen, in einzelnen Fällen auch einmal korrigieren. Und „wir“ in diesem Satz ist nicht nur Rhetorik. Gerade wenn es um Lehre und Lehrbegründung geht, brauchen wir einander.

Zwei wichtige Regeln zum Thema Lehre:

1. Unterscheide Gottes Wort und (menschliche) Lehrbildung

Nimm einmal an, ein Bibelerklärer hat keinen Blick für das gerade beschriebene menschliche Element bei einer Lehrbildung und denkt sich, dass die Lehre, die er gefunden hat, identisch ist mit Bibel. Was passiert, wenn jemand Zweifel an seiner Lehre oder bestimmten Einzelheiten einer Lehre hat? Er wird dem Zweifler unterstellen, dass er die Bibel in Frage stellt!
Dieses Phänomen gab es in unserer Gemeindegeschichte recht häufig. Wer alte Schriften liest, der wird gelegentlich auf die Formulierung stoßen, dass jemand „den Boden der Schrift verlassen“ habe. Das war die gerne verwendete Umschreibung für eine von der gelehrten Norm abweichende Lehransicht. Die so Kritisierten hatten überhaupt nicht im Sinn, sich von der Bibel zu entfernen. Ganz im Gegenteil, meist war die Abweichung durch das Studieren der Bibel erst angeregt. Aber weil man keinen Blick für den qualitativen Unterschied zwischen Bibel und Lehre hatte, kam man zu diesem groben Urteil. Wir halten also fest: Wer Fragen an eine Lehre hat, ist damit nicht automatisch bibelkritisch. Er fragt lediglich, ob die Lehre den Sinn der Schrift richtig wiedergibt.

2.Klugheit bei polar erscheinenden Themen

Wir finden in der Schrift eine Reihe von Themen, zu denen wir scheinbar widersprüchliche Texte in der Bibel finden und die deshalb nicht leicht zu einer Lehre zu verbinden sind. Ein paar Beispiele:
a. Erwählung oder freier Wille: Die Bibel spricht einerseits vom erwählenden Handeln Gottes, andererseits auch von der Freiheit des Menschen, sich für oder gegen Gott zu entscheiden.
b. Heilsgewissheit -Heilsverlust: Wir haben Texte, die mit großer Gewissheit von der Sicherheit der ewigen Rettung sprechen. Wir haben aber auch Texte, die vom Ende einer Glaubensgeschichte mit den entsprechenden Folgen zu sprechen scheinen.
c. Verhältnis der Geschlechter: Meist unter dem unglücklich verkürzenden Stichwort „Frauenfrage“ verhandelt: Wir haben Texte, die von der Schöpfung an die Verschiedenheit von Mann und Frau beschreiben. Wir finden aber auch Aussagen, die die Gleichheit betonen. Was gilt nun?
d. Absonderung oder Weltnähe: Von Anbeginn der christlichen Geschichte gab es die Praxis einer gewissen Weltflucht: Rückzug ins Kloster, isolierte Wohnorte oder Absonderung von „Weltmenschen“. Dafür findet man auch Bibeltexte. Wer aber das Leben des Herrn und der Apostel anschaut, findet eine ausgeprägte Nähe zu den Menschen der Welt. Was nun? Wer handelt richtig?
Nun kann man in der Praxis genauso wie in der Theologiegeschichte dies beobachten: Aus bestimmten Gründen fühlt man sich bei diesen polaren Themen zu einem der beiden Pole geschoben oder gezogen und vertritt ihn mit aller Kraft. Besonders nachhaltig gegen die, die sich am anderen Pol angesiedelt haben. Neben der Bibel hat das mit der eigenen Prägung zu tun; die Neigung kann eine Rolle spielen genauso wie beeinflussende Erfahrungen. Theologie hat durchaus etwas mit Biographie zu tun. Am Ende wird ein Büchlein geschrieben, in dem auf 30 Seiten die Lehre erklärt wird, auf weiteren 30 Seiten werden die Bibelstellen zurechtkommentiert, die nicht in das Lehrsystem passen. Das ist ein ziemlich sicheres Indiz, dass mit der Lehre etwas nicht stimmt.
Wir gehen davon aus, dass die Heilige Schrift widerspruchsfrei ist. Das muss sich auch bei diesen Themen in unseren Lehren widerspiegeln, die der Breite der biblischen Aussagen gerecht werden müssen.