Wer Ohren hat, der mische mit Verstand

Um in der Gemeinde gut aussteuern zu können ist es wichtig, die Hörempfindungen des Menschen besser kennen und verstehen zu lernen

Unser Hörgedächtnis

Das Gehör, wie auch Geruch und Geschmack, sind die ursprünglichsten Funktionen des Menschen. Ihre Wahrnehmung wird mit Erinnerungen verbunden. Alles, was du zum ersten Mal hörst, verknüpfst du unmittelbar mit diesem Ereignis und seiner Atmosphäre. Die Verknüpfung bleibt bis ins hohe Alter erhalten. Hörst du ein altes Lied, wirst du an diejenige Situation erinnert, in der du es zuerst bewusst wahrnahmst. Riechst du ein bestimmtes Parfum, kommt dir ein Leben lang jene Person ins Gedächtnis, bei der du diesen Duft zum ersten Mal rochst. Solche Erinnerungen bewirken positive oder negative Gefühle, die eine sachliche Beurteilung unbewusst überlagern können.

Lautstärkeempfindung

Dezibel (dB) ist eine logarithmische Messgröße des Schalldruckpegels. Allen Lautstärkemessungen liegt als Bezugsschallpegel die Hörschwelle eines jugendlichen Normalhörigen zu Grunde (= relative Hörschwelle, Abb. Kurve 1). Sie wird mit 0 dB (A) angegeben und nachfolgend nur als dB bezeichnet. Sie ist der Moment, in dem ein Ton, der aus dem unhörbar Leisen kommt und langsam lauter wird, gerade eben gehört wird. Ein doppelt so laut empfundener Ton entspricht einer Erhöhung des Schallpegels um etwa 10 dB. Wiederum 10 dB mehr heißt immer, doppelt so laut. Dies ist nicht mathematisch begründet, sondern basiert auf empirischen Daten. So liegt beispielsweise² Flüstern bei einer Schallintensität um 30, Umgangssprache zwischen 55 und 60 dB, starker Straßenlärm um 80 dB. Ab 90 dB ist ein Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet, seinen An-gestellten Gehörschutz zu verpassen. Bohrmaschine und das Hören über Kopfhörer vom MP3-Player/iPod werden mit 110 dB angegeben, dort liegt auch die Unbehaglichkeitsschwelle (Abb. Kurve 10). Ein Rockkonzert hat etwa 120 dB. Der Veranstalter muss ab 90 dB seine angestellten Musiker mit Schallschutz versorgen, aber nicht seine freiwillig erschienenen Gäste. Die Schmerzschwelle liegt schließlich bei 130 (Abb. Kurve 11) und ein Silvesterknall bei 150 dB.

Haarzellen und Tinnitus

Der Mensch kann sich gut an Lärm gewöhnen, doch die Haarzellen seines Ohres können das nicht. Sie werden durch Geräuschpegel von mehr als 85 dB über einen längeren Zeitraum beschädigt und gehen schließlich kaputt. Dabei schädigen 100 dB über einen Zeitraum von 10 Stunden genau so, wie 110 dB während nur einer Stunde. Im Anschluss an eine Lärmbelastung wird oft Tinnitus in Form von Piepen oder Rauschen empfunden. Er ist ein Alarmsignal für drohende oder schon eingetretene Hochtonschwerhörigkeit.

„Schrei mich nicht so an!“

In der Ohrschnecke wird der Bereich bis 20 dB von der ersten Reihe der äußeren Haarzellen gehört, es folgen die zweite Reihe bis 40 dB und die dritte bis 60 dB; nur die inneren Haarzellen hören den Bereich von mehr als 60 dB. Schwankungen der Lautstärke aber werden von den inneren deutlich stärker erkannt als von den äußeren¹.Wenn nun bei einer Person alle äußeren Haarzellen kaputt sind (Abb. Kurve 9), erleben wir das Phänomen, dass derjenige zunächst bis 60 dB gar nichts hört, dann aber bei Erhöhung des Schallpegels auf 70 dB alles laut wahrnimmt, sich die Ohren zuhält und schimpft: „Warum schreist du mich so an?“ Darum ist es für einen Tontechniker wichtig, die Lautstärke oberhalb von 60 dB sehr langsam zu erhöhen!

Der Innenohrschutz

Ein natürlicher Schutz für das Innenohr ist der Stapediusreflex². Er wird durch einen Tonimpuls von 1-2 Sekunden Dauer und mehr als 70 dB ausgelöst¹. Hierdurch versteift der Stapediusmuskel die Gehörknöchelchenkette und schützt so das Innenohr vor starken Schwingungen. Ist dieser Reflexbogen gestört, kommt der Schallreiz ungebremst auf das Innenohr. Bei solch einer Überempfindlichkeit gegenüber Schall hilft nur, Gehörschutz zu tragen.

Frequenzbereiche

Frequenzen (=Tonhöhen) werden in Hertz (Hz) angegeben. 1 Hz = 1 Schwingung pro Sekunde. Bei Verdopplung einer Hz-Zahl klingt der Ton immer eine Oktave höher, s. Tonaudiogramm Der Frequenzbereich des Normalhörigen liegt zwischen 20 und 16000 Hz (16 kHz). Am besten hören wir die mittleren Frequenzen zwischen 1 kHz (~c3) und 4 kHz (~c5, Abb. Kurve 2). Hier befinden sich auch das Sprachfeld (100-8000 Hz) und der Musikbereich (50-12000 Hz). Die Umgangssprache liegt um 1 kHz – also gut eine Oktave oberhalb des Kammerton a¹ (= 440 Hz) – und die Flüstersprache um 2 kHz. Dagegen hören wir höhere und tiefere Töne wesentlich schlechter. Töne unter 20 Hz werden nur noch als Vibrationen gefühlt. Mit zunehmender Frequenz nimmt das Fühlen ab und das Hören zu; einen 1-kHz-Ton fühle ich sogar noch bei 60 dB (Abb. Kurve 3).

Hochtonschwerhörigkeit und Altersschwerhörigkeit

Stell dir vor: Aus einem offenen Cabrio rauscht laute Musik an dir vorbei. Du versuchst, eine Melodie herauszuhören, aber es donnert nur Bum – Bum – Bum. Ähnlich geht es Menschen, die durch Lärm während der Arbeit, bei Diskothek-Besuchen oder lautem Hören über Kopfhörer eine sog. c5-Senke erlitten haben (um 4000 Hz, Abb. Kurven 4.5). Auch Lärm über das gesamte Frequenzband bewirkt zunächst nur eine Hochtonsenke, erst nach Jahren einen Hochtonabfall (Abb. Kurve 6). Der Hochtonabfall ist die häufigste Form der Innenohrschwerhörigkeit¹. Die Geschädigten verstehen Umgangssprache und Vokale meist ausgezeichnet, Flüstern aber fast überhaupt nicht. Zischlaute und hohe Konsonanten „F“, „S“, „Z“ (2 bis 12 kHz) sind wie ausgestanzt. Das Hörbild gleicht einem Schweizer Käse: überall sind Löcher. Dadurch sind  Missverständnisse  unvermeidlich:  man versteht  „Ei“, statt  „Eis“.

Prototyp des Hochtonabfalls ist die Altersschwerhörigkeit, darunter leiden 40 % aller Menschen ab dem 65. Lebensjahr³. Die Senioren klagen: Prediger könnten heute nicht mehr vernünftig artikulieren, sie würden nuscheln. Man höre sie zwar, aber verstehe sie schlecht und fordert deshalb deutlichere Aussprache. Der Körperschall der Bass-Drum vibriere so heftig, dass sie an die Schmerzgrenze kommt. Da nützt auch das Herausnehmen von Hörgeräten nichts, weil immer noch ein unangenehmes Dröhnen ankommt.

Eine Auswahl wichtiger Tipps

  • Lautstärken oberhalb von 60 dB nur ganz langsam erhöhen. Bei modernen Konzerten ist die Lautstärke um 80 dB angemessen.
  • Um die Sprachverständlichkeit zu verbessern, 3,5 kHz etwas anheben.
  • Bei akustischer Bass-Drum den Bereich um 250 Hz bis 400 Hz im Equalizer vollkommen wegnehmen; zusätzlich die Attackphase, den Schlag des Hammers auf das Schlagfell, erhöhen, indem man bei 2-3 kHz nach ihr sucht und sie leicht anhebt
  • E-Bass bei 800 Hz bis 1,5 kHz kräftig und bei 4-5 kHz leicht anheben.
  • Bei Bandbesetzung die Frequenzen von 80-100 Hz voll der Bass-Drum überlassen und allen anderen Instrumenten und Mikrofonen weg-nehmen.
  • Grundsätzlich einen Kompressor auf Stimme und dynamischen Instrumenten einsetzen.
  • Für Gemeinden, die erstmalig ein Schlagzeug einsetzen möchten, ist das unbeliebte, aber regelbare E-Schlagzeug empfehlenswert, zum Üben eines differenzierten Anschlags jedoch ein akustisches Schlagzeug.
  • Im Zweifelsfall stellt man der Gemeinde Gehörschutz bereit – wir empfehlen „MusicSafe“, der das Klangbild fast unverfälscht lässt.
  • Chorleiter und Sänger sollten ihre Tonaudiogramme kennen, um ihr Hörempfinden nicht zu verallgemeinern.

Wir wünschen, dass diese Erläuterungen mehr Einblick in so manche emotional geäußerte Klage geben und zum Wohlbefinden aller beitragen. Unser Vater im Himmel hat uns unser Gehör so genial geschaffen, dass wir ihn von Herzen ehren. Ihm gehört unser Ohr!

1 Lehnhardt, E.: Praktische Audiometrie. Thieme Stuttgart (1978) 35.36.149

2 Oto-Rhino-Laryngologie in Klinik und Praxis, Band 1, hrsg. von H. H. Naumann et alias. Thieme Stuttg-art . New York (1994) 81.329

3 Zahnert, T.: Differenzialdiagnose der Schwerhörigkeit. Deutsches Ärzteblatt 25 (2011) 43