Verdirb den Feind

Wie ist das mit den Rachepsalmen in der Bibel? Was haben sie uns heute noch zu sagen?
Verdirb den Feind

So genannte Rachepsalmen bestehen nicht gerade aus den Versen, die den Sprung auf eine Postkarte oder einen Wandkalender unserer christlichen Verlage schaffen (z.B. Psalm 58; 137). Man muss es ja nicht gleich übertreiben, aber was machen wir mit Versen wie Psalm 109,9-13, in denen David für seine Feinden Böses erbittet?

Seine Kinder seien Waisen und seine Frau eine Witwe!
Herumirren, ja, herumirren sollen seine Kinder und betteln, Überreste suchen aus ihren Trümmern.
Der Wucherer umgarne alles, was er hat, Fremde mögen seinen Erwerb rauben!
Er soll niemanden haben, der ihm Gnade bewahrt, und keiner sei seinen Waisen gnädig.
Seine Nachkommen sollen ausgerottet werden, in der folgenden Generation soll ihr Name erlöschen!

Der Bundes-Joker

Ein beliebter Ausweg für die Auslegung ist der `Bundes-Joker´. Demnach ist der heutige Christ geradezu froh, dass sich diese Passage nicht im Neuen Testament befindet. Die Argumentation würde besagen, dass die Gläubigen im Alten Testament ja noch unter dem Gesetz standen. Dieser Alte Bund ist aber durch den Neuen Bund in Jesus abgelöst. Und seit Jesu Erlösungswerk am Kreuz sollen und müssen wir so nicht mehr mit unseren Feinden umgehen. Stattdessen sollen wir unsere Feinde lieben und sie segnen, anstatt sie zu verfluchen (Matthäus 5,43-48).

Verbreitet ist auch die Idee, dass die Sitten und Gebräuche damals in Alten Orient derartig rau waren, dass diese harten Worte kulturell bedingt seien. Sie hätten sich dauernd die Köpfe eingehauen und deshalb seinen dann solche Gebete wie in Psalm 109 entstanden. Wir als Christen sind aber von der Liebe Christi geprägt und reagieren daher in Frieden, mit Demut und Barmherzigkeit unseren Feinden gegenüber.

Zugegeben, das ist etwas überzogen karikiert. Die beiden letzten Abschnitte zeigen meines Erachtens jedoch einen verengten Blick für die Botschaft der Bibel. Wir müssen uns für die Worte der Bibel nicht entschuldigen, auch nicht für die Rachepsalmen im Alten Testament. Wir müssen auch nicht nach einer netten und christlich verträglichen Sicht der Dinge suchen.

Gefühle ausdrücken

Ein gangbarer Weg ist es, Worte wie die aus Psalm 109,9-13 im Horizont der Psalmen insgesamt zu verstehen.

Die Psalmen sind Worte von Menschen an Gott. Dabei sind es keine starren Gebete. Vielmehr sind es poetische Texte, die den ganzen Menschen ansprechen.  Wir im Neuen Testament sind ebenso wenig `Glaubensmaschinen´, wie unsere Glaubensgeschwister im Alten Testament. Die Psalmen helfen uns, Worte vor Gott zu finden für Gedanken und Gefühle in uns. Sie holen den Menschen da ab, wo er ist und wie er ist und führen ihn zu Gott, wo er ist und wie er ist. Auch wenn ich Kind Gottes bin, so erlebe ich in manchen Situationen Gott eben nicht als treuen Vater im Himmel. Die deutliche theologische Klarstellung, dass Gott aber immer treu ist, mag zwar stimmen, der verzweifelte Christ wird diese Wahrheit aber in einer heftigen Not kaum glauben können. Wir im Neuen Testament sind ebenso wenig `Glaubensmaschinen´, wie unsere Glaubensgeschwister im Alten Testament.

Wir sind ebenso Kinder Gottes, die sich nach der Verwirklichung der Zusagen Gottes sehnen.

So helfen mir die Klagelieder, weil da jemand geklagt hat, wie ich jetzt vor Gott klagen kann. Dabei nehmen die Psalmen den Menschen so an, wie Gott ihn gemacht hat und gehen den Weg zu Gott – Schritt für Schritt.

Das gilt auch für Rache

So gibt es schließlich auch Situationen, in denen die Not des Beters so verheerend ist, dass es zu Rachegefühlen, Worte der Rache und möglicherweise Racheplänen kommt. Genau an dieser Stelle greifen die Rachepsalmen. Es gibt in dieser Welt so viel Leid, dass ein einfaches „beschütze mich“ oder „hol mich hier raus“ nicht reicht. Da gibt es Feinde, die töten, foltern, vergewaltigen, oder mobben. Diese Rache, die ich gegenüber anderen Menschen empfinde, die muss ich bei Gott nicht runterschlucken. Wenn ich Rachegedanken habe, dann ist es der beste Weg, diese vor Jesus zu formulieren

Ein Rachepsalm geht den Weg des Neuen Testaments (Römer 12,19): „Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes! Denn es steht geschrieben: „Mein ist die Rache; ich will vergelten, spricht der Herr.“ Hier bezieht sich Paulus auf 5. Mose 32,35. Stimmt genau, das Alte Testament! Auch die Rachepsalmen sehen am Ende den mächtigen und gerechten Gott. Dieser Gott muss sich doch auch um die Ungerechtigkeiten dieser Welt kümmern. Er kann doch nicht tatenlos zusehen, wie mich mein Feind fertig macht! Diese Rache, die ich gegenüber anderen Menschen empfinde, die muss ich bei Gott nicht runterschlucken. Ich muss nicht eine christliche Maske aufziehen. Ich muss nicht scheinbar liebliche und korrekte Gebete formulieren.

Wenn ich Rachegedanken habe, dann ist es der beste Weg, diese vor Jesus zu formulieren. Jesus erschrickt nicht, denn er kennt die Abgründe unseres Herzens sowieso.

Gott nimmt dich ernst. Er kennt deine Verletzungen. Kommst du mit deiner Rache zu Gott, so wendest du dich an den, der trösten und das Recht durchsetzen kann – eben dann, wenn wir das nicht können. Gott kann dich Schritt für Schritt weiter leiten… sogar bis dahin, dass du deinen Feinden vergeben kannst. Aber das ist oft ein weiter Weg, der damit anfängt, dass wir uns selbst ernstnehmen mit unseren Rachegefühlen und diese in Worte fassen vor dem, der von sich sagt:

„Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr!“ (Römer 12,19)

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