Umgang mit unterschiedlichen (Corona-) Sichtweisen

Nach einem Twitter-Post des Virologen Hendrik Streeck habe ich aufeinanderfolgend zwei ganz unterschiedliche Kommentare gefunden: „Sie sind meiner Meinung …
Umgang mit unterschiedlichen (Corona-) Sichtweisen

Nach einem Twitter-Post des Virologen Hendrik Streeck habe ich aufeinanderfolgend zwei ganz unterschiedliche Kommentare gefunden:

„Sie sind meiner Meinung nach nicht unerheblich Mitschuld an der „ist nicht so schlimm“ Mentalität. Ihr Verhalten hat mich zutiefst enttäuscht. Über jeden Toten sollten Sie weinen!“
„Ich weiß, wo ich lebe, nämlich in der Realität einer Gesundheitsdiktatur. Meine Familie und ich sind ruiniert, wir kommen nie wieder hoch. Bei Herrn Streeck weiß ich nicht, ob er einfach alles andere sagt, um diplomatisch zu wirken. Es wird zu Todesfällen kommen: Tausende Suizide“

Diese Kommentare zeigen die Spannungen auf, die wir in unserer Gesellschaft gerade erleben:

  • Die Angst vor dem Virus
  • Die Angst vor den Konsequenzen der Maßnahmen

Es gibt viele Fragen, die schwer zu beantworten sind, oder die ich schwer zu beantworten finde: Wie „schlimm“ ist das Virus? Welche Schutzwirkung haben Masken? Was bringen einzelne Maßnahmen? Und viele Fragen mehr…

Mit diesem Artikel möchte ich nicht über diese schwierigen Sachfragen nachdenken, sondern über die Art und Weise, wie wir – gerade als Christen – miteinander umgehen. In der Gesellschaft erlebe ich, das eine inhaltliche Auseinandersetzung kaum möglich ist und man sich lächerlich macht, über die Positionen der Anderen. Jesus hat sich das anders vorgestellt.

Gottes Grundprinzip: Gnade & Wahrheit verbinden

„Er, der das Wort ist, wurde ein Mensch von Fleisch und Blut und lebte unter uns. Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit voller Gnade und Wahrheit, wie nur er als der einzige Sohn sie besitzt, er, der vom Vater kommt.“Johannes 1,14

So beschreibt der Evangelist Johannes Jesus Christus. Seine Herrlichkeit ist dadurch sichtbar geworden, dass in ihm Gnade und Wahrheit verbunden sind. Er ist Wahrheit. Er ist Gnade. Und er verbindet beides auf wunderbare Weise miteinander.

Wir Menschen brauchen Wahrheit. Wir wollen die Dinge so sehen, wie sie sind. Wir brauchen Offenheit, Themen so anzusprechen, wie wir denken.

Und wir brauchen Gnade. Sowohl in der Art und Weise, wie wir Dinge sagen, als auch in der Art und Weise, wie wir Dinge hören.

 

Auf der Suche nach Wahrheit

Wahrheitssuche: Suche besonnen die Wahrheit

In unserer Gesellschaft entsteht der Eindruck, dass man bestimmte Dinge nicht mehr sagen darf. Auf der einen Seite kann ich das verstehen, weil der Gegenwind an manchen Stellen scharf ist. Aber ich war inzwischen in genug Telegram-Channels und habe genug YouTube Videos gesehen, um zu wissen: in Deutschland kann man so ziemlich alles sagen. Auch viele Dinge, die man nicht sagen sollte.

Aus meiner Sicht besteht die Herausforderung darin, seine Position gut begründen zu können. Petrus fordert auf: „Die Zeit, in der alles zu seinem Ziel kommt, steht nahe bevor. Seid daher wachsam und besonnen und lasst euch durch nichts vom Beten abhalten.“ (1. Petrus 4,7)

Besonnenheit bedeutet, bei gesundem Verstand zu sein. Angemessen zu denken. Ich würde in der heutigen Situation sagen: gut informiert zu sein. Die Quellen nachvollziehen und nicht nur Überschriften zitieren. Differenziert zu denken und unterschiedliche Positionen abwägen.

Vor einigen Tagen hatte ich ein Flugblatt in meinem Briefkasten. Titel: (Ver)zweifeln erlaubt! Und unter anderem ein Hinweis auf eine Studie, die den Nutzen von Masken in Frage stellt. Darüber habe ich mich richtig geärgert:  nicht darüber, dass jemand eine andere Position hat. Sondern über manipulative Sprache. Selektive Auswahl von Informationen. Wir können über alles reden! Aber bitte besonnen.

 

Wahrheitsblasen: Verlasse deine Filterblase

Besonnenheit wird in der heutigen Zeit durch Filterblasen erschwert. Davon habe ich mindestens 2: Auf Instagram folge ich recht vielen Gemeinden und dort habe ich eine Happy-Clappy-Kirchenblase. Sonntags morgens sieht die Welt fröhlich aus. Auf einem anderen sozialen Medium habe ich einen Account, mit dem ich mich nur mit AFD-Sympathisanten befreundet habe. Da sieht die Welt ganz anders aus.

Die sozialen Medien fördern, dass wir in sogenannten Filterblasen leben und verstärkt Informationen von und Vorschläge für Menschen bekommen, die so ähnlich sind wie wir. Meine Befürchtung: Wenn wir unsere Filterblasen nicht verlassen, erschaffen wir uns Wahrheitsblasen. Und die können wie Seifenblasen zerplatzen.

Um meine Filterblase zu verlassen, habe ich versucht, mich breit zu informieren. Um meine Filterblase zu verlassen, habe ich versucht, mich breit zu informieren Hier eine nicht abgeschlossene Liste: RKI, Drosten-Podcast, Die Zeit, Bild, „Corona-Fehlalarm?“, verschiedenste YouTube Videos und Telegramm-Channels.

Filterblasen erschaffen wir uns manchmal auch selbst bei der Beurteilung „geistlicher“ Fragen. Paulus warnt Timotheus:

„Denn es kommt eine Zeit, da werden die Menschen der gesunden Lehre des Evangeliums kein Gehör mehr schenken. Stattdessen werden sie sich Lehrer aussuchen, die ihren eigenen Vorstellungen entsprechen und die ihnen das sagen, was sie hören möchten.“2. Timotheus 4,3

Es ist heute so leicht, sich Lehrer auszusuchen. Deren Podcasts du folgst. Deren Videos du siehst. Lasst uns unsere Filterblasen verlassen.

 

Wahrheitsebenen: Über was für eine Wahrheit streiten wir?

Es gibt Wahrheiten, da bin ich mir sehr sicher. Da finde ich sehr deutliche Worte. Ein Beispiel: Jesus ist Gottes Sohn. Das ist göttliche Offenbarung. Es gibt andere Dinge, da bin ich mir nicht so sicher. Welche Corona-Maßnahmen die wirksamsten sind, zum Beispiel. Da rede ich deutlich vorsichtiger.

Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, sich bewusst zu machen, über welche Wahrheitsebene wir diskutieren. Denn die Art der Diskussion muss sehr unterschiedlich verlaufen.

Zum einen geht es um die wissenschaftliche Deutung von Daten. Wie gefährlich ist das Virus? Welchen Nutzen haben Masken? Hier braucht es Statistiken und Studien.

Dazu gibt es Fragen der politischen Deutung dieser wissenschaftlichen Daten. Welche Maßnahmen sind angemessen, um auf das Virus zu reagieren? Welche Maßnahmen sind legitim? Mit welchen wirtschaftlichen Kosten sollen Risikogruppen geschützt werden? Was sind die Folgeschäden der Corona bedingten Einschränkungen? Diese und viel mehr Fragen brauche eine politische Diskussion, in die wir auch als Christen unsere Einschätzung einbringen sollen.

Und dann gibt es die Ebene der geistlichen Deutung dieser Situation. Sollen wir als Christen den Anweisungen der Regierung folgen, auch wenn dadurch Gottesdienste eingeschränkt werden?[1] Stehen hinter den politischen Entscheidungen antichristliche Mächte?

William MacDonald hat ein hilfreiches Modell beschrieben, um Lehren mit unterschiedlicher Gewissheit voneinander zu trennen.[2]

Beispiele Umgang
Grundlegend Inspiration der Schrift, Menschwerdung Jesu Nicht verhandelbar
Wichtig Unverlierbarkeit des Heils, Gaben des Geistes Hier braucht es eine klare Überzeugung und das Bewusstsein, dass gottesfürchtige Christen unterschiedliche Meinungen haben.
nebensächlich Wahl und Militärdienst, Wein oder Traubensaft beim Abendmahl Bei diesen Themen sollte immer die Freiheit bestehen, verschiedene Meinungen nebeneinander stehen zu lassen, ohne zu streiten oder sich gar zu trennen.

Aus meiner Sicht muss uns klar sein, dass wir bei unseren Überzeugungen zu Corona nicht über eine grundlegende biblische Wahrheit, wie die Menschwerdung Jesu streiten, sondern dass unsere Überzeugungen ein anderes Gewicht haben.

Wir sollten dieses Wahrheitsebenen nicht vermischen! Denn

  1. Mit jeder Wahrheitsebene müssen wir anders umgehen.
  2. Wenn du deine politische oder geistliche Deutung auf Corona als Wahrheit darstellst und sie sich als falsch erweist: Warum sollte dir dann jemand deine grundlegende Überzeugung glauben, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist?

Voller Gnade im Miteinander

Gnade ist nicht hochmütig

Als Christen sind wir aufgefordert, den anderen in Demut höher zu achten als uns selbst (vgl. Phil. 2,3). Demut bedeutet, die Position des Gegenübers ernst zu nehmen. In meinem Umfeld habe ich mich mit zwei Personen ausführlich über ihre Position zu Corona ausgetauscht. Und obwohl meine Position sehr unterschiedlich war, habe ich mich intensiv mit den Argumenten meines Gegenübers auseinandergesetzt. Das bedeutet für mich ganz praktisch sie höher zu achten.

Demut bedeutet in unserer Lage auch, einschätzen zu können, was man wissenschaftlich beurteilen kann und was nicht. Dazu gehört auch der Umgang mit Studien: zum einen kann man sich zu fast jeder Studie eine Gegenstudie googeln, zum anderen bedeutet wissenschaftliche Arbeit auch, die Studien zu bewerten und in den Kontext anderer Studien und Erkenntnisse zu stellen. Und da komme ich persönlich sehr schnell an meine Grenzen.

 

Gnade unterstellt keine Motive

„Aber der HERR sprach zu Samuel: Sieh nicht auf sein Aussehen und auf seinen hohen Wuchs! Denn ich habe ihn verworfen. Denn der HERR sieht nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Denn der Mensch sieht auf das, was vor Augen ist, aber der HERR sieht auf das Herz.“1. Samuel 16,7

Diese Worte sprach Gott zu Samuel, als er den älteren Bruder Davids vor sich stehen sah. Und es macht deutlich: wir Menschen sind begrenzt. Wir können das beurteilen, was wir vor Augen haben. Aber ins Herz schauen können wir nicht.

Wir können die Motive und Gedanken des Anderen nicht oder nur sehr, sehr schwer beurteilen. Und doch erlebe ich, wie diese Überheblichkeit immer wieder passiert. In einem Video über den Umgang mit Corona in Gemeinden wiederholen die Redner zum Beispiel immer wieder, dass Gemeindeleiter aus der Angst handeln, dass sie selber krank werden. Das überschreitet Grenzen. Denn du kannst nicht in das Herz deines Gegenübers schauen. Lasst uns unsere Begrenztheit demütig anerkennen.

Gnade beurteilt, aber verurteilt nicht

In den letzten Monaten musste ich viele schwere Entscheidungen treffen. Um diese Entscheidungen zu treffen, habe ich immer versucht, mich möglichst gut zu informieren, Rat einzuholen und Gott zu fragen. Dabei habe ich immer wieder Informationen beurteilt: was halte ich für glaubwürdig und was nicht.

Nicht jedes meiner Urteile war richtig. Aber ich musste urteilen, um Entscheidungen treffen zu können. Aber ich möchte die Grenze nicht überschreiten vom notwendigen Beurteilen von Information zum Verurteilen von Personen. Aber ich möchte die Grenze nicht überschreiten vom notwendigen Beurteilen von Information zum Verurteilen von Personen Das geht so schnell. Herr, behüte mein Herz!

Gnade und Wahrheit begegnen sich

In unserer Gesellschaft gibt es sehr unterschiedliche Meinungen zu Corona. Dialog scheint an manchen Stellen nicht mehr möglich. Gemeinden scheinen mir an dieser Stelle ein Spiegelbild der Gesellschaft zu sein. Und daran leide ich.

„Wer Antwort gibt, bevor er zuhört, ist dumm und macht sich lächerlich.“ (Sprüche 18,13) Ich habe den Eindruck, dass wir uns viel zu oft dumm verhalten und lächerlich machen, weil wir dem anderen nicht zuhören. Damit sich Gnade und Wahrheit begegnen können, brauchen wir den Austausch. Dann können wir Friedensbringer statt Streitbringer werden. Hoffnungsbringer statt Angstbringer.

Das ist möglich, wenn sich Gnade und Wahrheit begegnen und ein Stück der Herrlichkeit von Jesus sichtbar wird.


[1] Zu dieser Diskussion verweise ich auf: https://www.gesunde-gemeinden.de/artikel/ziviler-ungehorsam-aus-treue-zum-herrn/

[2] William MacDonald: Seiner Spur folgen – https://clv.de/Seiner-Spur-folgen/255988 S. 409 – 420)