Seelsorger brauchen Seelsorger

Jeder Mensch braucht Seelsorge und weil auch Seelsorger Menschen sind, braucht auch ein Seelsorger Seelsorge.
Seelsorger brauchen Seelsorger

Jahrelang hatte ich großen Respekt vor Seelsorgern. Ich habe ihren Vorträgen gelauscht – und ansonsten einen großen Bogen um sie gemacht. Und zwar so lange, bis ich endlich einmal persönlich Seelsorge für mich in Anspruch genommen habe. Das hatte Folgen. Unter anderem die, dass ich selbst Seelsorger geworden bin. Seither denke ich komplett anders über diese sonderbare Sorte Mensch.

Zu meinem alten Bild vom Seelsorger gehörte, dass diese Leute absolut kein Problem mit Sünde hatten. Alles hatten sie im Griff. Sie glaubten mehr, sie beteten mehr, sie lasen mehr in der Bibel. Sie wussten auf alles eine Antwort und waren immer erlöst und glücklich. Das Salz und Licht, das ich im Namen Jesu eigentlich sein sollte (Matthäus 5,13-16), erfüllte die Kategorie Seelsorger. Deshalb konnten sie die Knackpunkte bei anderen Menschen erkennen und ihnen vollmächtig helfen. Daraus ergab sich wie selbstverständlich der Schluss:

Wer so heilig lebt wie ein Seelsorger, der braucht unmöglich selbst Seelsorge!

Heute weiß ich, dass ich total auf dem Holzweg war. Mit einiger Sicherheit habe ich dem Teufel einen riesen Gefallen getan, so lange ich nicht in die Seelsorge gegangen bin und sogar dachte, dass ein Seelsorger selbst keine Seelsorge braucht. Denn das Gegenteil ist der Fall! Jeder Mensch braucht Seelsorge. Weil auch Seelsorger Menschen sind, braucht auch ein Seelsorger Seelsorge. Auf diese Aussage kommt man nicht nur durch eigene Erfahrungen. Auch die Bibel gibt eindeutige Hinweise: Der Apostel Paulus erinnert daran, dass alle Menschen Sünder sind. Niemand kann aus eigener Kraft zu Gott kommen (Römer 3,23). Selbst, wenn ein Mensch sein Leben ändert und unter die Führung von Jesus Christus stellt, hat diese Wahrheit immer noch einen Einfluss auf ihn. Die Tatsache, dass auch Christen älter werden, dass sie krank werden und sterben müssen, macht das deutlich. Trotzdem gilt auch die andere Wahrheit:

„Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“ (2.Korinther4,16)

Diese Aussagen betreffen alle Menschen, die an Jesus glauben – auch Seelsorger.

Ein Seelsorger ist ein Mensch wie du und ich. Er hat Hunger, er wird müde, er muss sich waschen. Er erlebt Freude, Liebe, Angst und Leid. Er hat seinen persönlichen Geschmack in Sachen Musik, Farben, Kleidung und, und, und. Seelsorgerinnen und Seelsorger sind ganz normale Leute – mit einer Begabung zur Seelsorge. Sie haben aber auch ihre Grenzen und ihre Hänger. Seelsorger können versucht werden. Viele Dinge können Seelsorgern den nötigen geistlichen Blick auf das Leben eines anderen Menschen verstellen: Etwa, wenn er einem anderen Menschen bei einem Problem helfen will, das er selber hat! Solche Seelsorger sind „blinde Blindenführer“ – mit dem Erfolg, dass beide in die Grube fallen (Matthäus 15,14). Ein Seelsorger kann auch dann seine gebotene Objektivität aufgeben, wenn er z.B. ein besonders attraktives finanzielles Angebot erhält. Bileam aus dem Alten Testament lässt grüßen (4.Mose 22-24). Und nicht nur Könige haben zuweilen offene Augen für die Reize des anderen Geschlechts – mit allem, was dazu gehört (2.Samuel 11).

Wer im Dreck arbeitet, muss sich regelmäßig waschen. Sonst wird der Dreck an ihm haften bleiben – und aus ist’s mit der Hilfe für Andere

Ein weiterer möglicher Gefahrenpunkt für Seelsorger ist die Bewunderung und die Anerkennung, die ihnen manchmal entgegen gebracht wird. Das kann dafür sorgen, dass sie sich wichtiger nehmen, als sie wirklich sind. Aber: Kein Mensch kann Sünden vergeben. Das kann nur Gott. Wenn also ein Seelsorger Autogrammstunden gibt und meint, dass er für Gott und für Menschen unersetzlich ist, hat er etwas total verwechselt (Römer 1,22)!
Diese kleine Sammlung an Beispielen zeigt, dass Seelsorger nicht besonders heilige, sondern vor allem besonders gefährdete Menschen sind. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Seelsorger befassen sich schließlich mit den Untiefen des menschlichen Lebens. Sie schauen hinein in die Abgründe der menschlichen Seele. Sie kommen in Kontakt mit Sünde und Schuld, mit verborgenen Gefühlen und verletzten oder entstellten Herzen. Das bleibt nicht ohne Folgen. Vieles, was ein Seelsorger hört, löst in ihm eine Reaktion aus. Das ist völlig normal.

Mehr als andere müssen sich Seelsorger jedoch fragen: Lasse ich mich von meinen Empfindungen oder von meinen Wünschen bestimmen?

Soll echte Seelsorge geschehen, müssen beide Fragen mit Nein beantwortet werden. Trotzdem kann sich immer mal wieder eine falsche Motivation einschleichen und die Seelsorge gefährden. Nicht die Lasten des Anderen dürfen die Beziehung zu Christus stören. Auch nicht die eigenen Ängste, Sorgen, Schuld usw.. Du musst wissen: Solange ein Mensch ein Problem hat, wird er immer zuerst sein eigenes Problem lösen. Erst dann wird er in der Lage sein, anderen bei deren Problemen zu helfen. Natürlich haben Seelsorger Probleme! Das gehört zum Menschsein und ist in Ordnung. Ein Seelsorger muss nur besonders darauf achten, dass er seine Probleme kennt und weiß, wo er anfällig ist. Dann kann er sich verantwortungsvoll verhalten. Zum Beispiel zeigt sich das darin, wenn er etwa sagt: „Du, leider kann ich dir in dieser Frage nicht helfen.“ Das kann nur jemand sagen, der seine Grenzen und Fallstricke kennt.

Ein Seelsorger benötigt auch Entlastung für die eigene Seele. Vieles Gehörte braucht einen Ort, wo es abgelegt und entsorgt werden kann. Das Gebet ist so ein Ort und auch die persönliche Zeit mit Gott. Aber auch ein verschwiegener und aufmerksamer Zuhörer, der hinterfragt, aufrichtet, ermahnt und tröstet gibt wichtige Hilfestellung. Jedoch gilt auch hier: Verschwiegenheit ist oberstes Gebot. Details aus der Seelsorge haben auch zwischen Seelsorgern nichts zu suchen!

Ein guter Seelsorger geht in die Seelsorge, weil er aus dem reichen Pool der eigenen seelsorgerlichen Erfahrungen schöpfen soll. Seelsorger sind Menschen, die den anderen nichts Besonderes voraus haben. Sie sind Frauen und Männer mit einem offenen Ohr, die ihr Leben mit anderen teilen und gemeinsam zu Jesus Christus gehen. Dazu gehört das gemeinsame Gebet, das Seelsorge ist für Seelsorger unerlässlich. Es ist die Reinigung für die Seele.Bekenntnis von Sünde und Schuld und die Zusage der göttlichen Vergebung, das Segnen, die Fürbitte, das gemeinsame Fragen und Hören in den unterschiedlichsten Herausforderungen des Lebens. Bekanntlich gibt es keinen Bereich, in den Gott nicht hineinkommt, wenn wir ihn darum bitten. Der Seelsorger, der selbst in die Seelsorge geht, erwartet nicht mehr von den anderen, als er selbst tut. Darin wird er glaubwürdig. Und vertrauenswürdig.

Letztendlich verfolgt auch diese Fragestellung nur das eine Ziel: Was ist wirklich wichtig, damit dein Leben nicht an Jesus vorbeigeht? Nicht die Seelsorge ist wichtig oder der Seelsorger. Beide sind sie Bestandteile des großen göttlichen Angebots, dass du den Weg deines Lebens auf diesem Planeten gehen kannst und Gott sich über dich freut.