Schande! Schande!

Sexueller Missbrauch ist ein Tabuthema in unseren Gemeinden. Darüber spricht man nicht. Dieser Artikel zeigt, dass Gemeinden sich diesem Thema stellen müssen und dass die sogar in der Bibel dieses Thema nicht verschwiegen wird.
Schande! Schande!

Gedanken über 2. Samuel 13

Die Zeiten haben sich geändert. Die Zeit der sexuellen Aufklärung ist inzwischen vorbei. Nach Oswald Kolle in den 60er Jahren und der Bravo-Ära der 70er, nach Sexualkunde-Unterricht in den Schulen, nach Pornowelle und versautem Internet scheint die heutige Generation nichts, aber auch gar nichts mehr zu erschüttern! Und doch wird in unseren Gemeinden über die Thematik nicht gesprochen. Sind wir zu prüde oder haben wir auf die Fragen der nächsten Generation keine Antwort aus dem Wort Gottes? Woher kommt unsere Sprachlosigkeit zum Thema „sexueller Missbrauch im gemeindlichen Umfeld“? Handeln wir nach dem Prinzip: „Was nicht sein darf, das gibt es nicht?“

Es ist unsere Verantwortung als Mütter und Väter, unsere Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen.Ich hatte in einem Gemeinde-Erzieherseminar fast nebenbei die Begebenheit von Tamar und Amnon genannt, um deutlich zu machen, dass es unsere Verantwortung als Mütter und Väter ist, unsere Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Ich erwähnte dabei, dass eine mir bekannte junge Frau als Kind von ihrem Vater über längere Zeit missbraucht worden sei und wie verheerend sich dieses Geschehen auf ihr gesamtes Leben ausgewirkt habe. Anschließend kam eine ältere Frau sichtlich aufgewühlt in die Aussprache. Scheu schaute sie sich um, um sicher zu sein, dass kein anderer zuhörte. Sie blickte zu Boden und flüsterte: „Ich habe noch nie mit einem Menschen darüber gesprochen. Aber als 6-Jährige bin ich von meinem Vater ebenfalls missbraucht worden. Und zwar über längere Zeit. Seitdem hab ich Alpträume. Ich wache dann schweißgebadet auf. Oft fühle ich mich bis heute richtig schmutzig und muss mich stundenlang duschen. Mein Mann ahnt nichts von meinen Nöten und Empfindungen. Er würde das nie verstehen …“ Und dann gestand sie mir, dass ihr Vater einer der verantwortlichen Brüder in der Gemeinde gewesen sei. Nein, nie hätte sie sich je getraut, davon ihrer Mutter oder sonst irgendjemand zu berichten. Dabei liebte sie ihren Vater – gleichzeitig hasste sie ihn. Deswegen hatte sie auch lange Zeit Schuldgefühle. Auch Gott als Vater zu akzeptieren, bereitete ihr über Jahre hinweg viel Mühe – Wir haben lange miteinander gesprochen und ihre Not unserem Vater im Himmel gebracht.

Ein Einzelfall?

Leider kommen solche Katastrophen häufiger vor, als wir meinen. Wenn ich im Rahmen von Erziehungsseminaren die Gefahr des Missbrauchs nur kurz erwähne, folgt in der Regel eine Aussprache zu diesem Thema.

  • Ein Mädchen im Teenyalter verhielt sich mit zunehmender Pubertät auffallend introvertiert und verschlossen. Endlich vertraute sie sich einer älteren Schwester in der Gemeinde an. Ein diskretes Gespräch mit den Eltern folgte. Dabei bekannte der Vater, dass er seine Tochter im Alter zwischen 8 und 10 Jahren des Öfteren unsittlich angefasst und gestreichelt habe.
  • Ein junges Ehepaar bat um ein Gespräch, in dem sie ihre Schwierigkeiten im sexuellen Umgang miteinander erzählten. Der sehr einfühlsame junge Mann war völlig verzweifelt, weil seine junge Frau auf seine Zärtlichkeiten hin stets kühl und abweisend reagierte. Sie bekannte, dass sie in jungen Jahren von ihrem Vater missbraucht worden war. Jedes Mal, wenn ihr Mann, den sie sehr liebte, sich ihr näherte, wurde sie an die Begegnungen mit ihrem Vater erinnert.
  • Eine andere junge Frau brauchte nur das Wort „Missbrauch“ irgendwo zu lesen oder einem Mann begegnen, der ähnliche Hände wie ihr Vater hatte, und ihre Gedankenwelt begann zu rotieren und sie in den Strudel der Erinnerungen zu ziehen.

Was ist sexueller Missbrauch?

Sexueller Missbrauch bedeutet, dass ein Jugendlicher oder Erwachsener seine Machtposition, seine körperliche oder geistige Überlegenheit, sowie die Unwissenheit, das Vertrauen oder die Abhängigkeit eines Kindes zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse ausnutzt.Sexueller Missbrauch findet vor allem in der Familie statt und wird meist von Männern begangen, die dem Kind gut vertraut sind (Vater, Stiefvater, Bruder, Onkel, Großvater, Cousin). Es entwickelt sich meist langsam über eine längere Zeitspanne. Die Gefahr des fremden „bösen Onkels“ tritt demgegenüber weniger häufig auf.

Die Folgen von sexuellem Missbrauch sind nicht zu verharmlosen. Es sind sehr starke seelische Beeinträchtigungen, die häufig erst in der Pubertät oder in der Zeit der Ehe auftauchen. Die Persönlichkeit des Opfers wird meist für Jahrzehnte, oft sogar lebenslang zerstört. Daher ist sexueller Missbrauch ein weit größeres Verbrechen als körperliche Verletzung und darf nicht totgeschwiegen werden. Auch für den Täter hat sexueller Missbrauch seelische Folgen. Beide, Opfer und Täter brauchen seelsorgerliche und soziale Hilfe.

Was sagt die Bibel dazu?

Die Bibel verschweigt – im Gegensatz zu unseren Gemeinden – dieses Thema keineswegs. In 2. Samuel 13,1-21 finden wir eine Begebenheit, in der von einer Katastrophe im Haus Davids berichtet wird. Amnon, der älteste Sohn des Königs, wurde ihm von Ahinoam, der Jesreelitin, geboren. Er verliebt sich unsterblich in seine Halbschwester Tamar, einer Schwester seines Bruders Absalom, dem dritten Sohn Davids mit Maacha, der Königstochter von Gesur. Amnon vertraut sich mit seinem Liebeskummer seinem Cousin Jonadab an, einem sehr klugen Berater am Königshof. Jonadab rät ihm unter Freunden, sich krank zu stellen und seinen Vater zu bitten, dass Tamar ihm die Krankenkost ins Schlafzimmer bringen möge. David erkennt in seiner väterlichen Naivität keine Hintergedanken bei seinem Ältesten und gestattet seinen Wunsch. Amnon benutzt diese Gelegenheit, seine Halbschwester zu vergewaltigen – trotz ihres Versuchs, ihn durch viele Argumente davon abzuhalten. Amnon verwechselt offensichtlich Liebe mit blinder Begierde. Nach der gewaltsamen Tat schlägt seine Lust in Hass um und er jagt sie fort.

Diese Begebenheit hat schlimme Folgen im königlichen Haus. Absalom, der Bruder Tamars rächt diese Schande an seiner Schwester, da David sie nicht ahndet. Er lässt Amnon umbringen. Worauf es mir in diesem Zusammenhang bei dem biblischen Bericht ankommt, ist zum einen, dass David die mögliche Gefahr nicht zuvor erkannte und damit hätte verhindern können, zum anderen sind die Folgen für Tamar bezeichnend. Es heißt von ihr:

Da blieb Tamar, und zwar einsam (wörtlich: verödet, oder verwüstet), im Haus ihres Bruders Absalom.“2. Samuel 13,20b

Hier wird deutlich, was bis heute bei sexuellem Missbrauch zu beobachten ist: Die Folgen für die Opfer sind tiefe seelische Schäden, die über Jahre und Jahrzehnte Auswirkungen haben. Angstattacken, Lebensuntüchtigkeit und Beziehungsstörungen beeinträchtigen das Leben dieser missbrauchten Menschen. Neurotische Störungen, Verhaltensschäden und die Gefahr, in Suchtmitteln Vergessen zu finden, gehören ebenso zu den Folgeschäden, die unter keinen Umständen verharmlost werden dürfen.

Sexueller Missbrauch geschieht häufiger als man meint

Das Bundeskriminalamt (BKA) geht von 10.000 registrierten Fällen im Jahr aus (§ 176 StGB). Zusätzlich von etwa ebenso vielen exhibitionistischen Vorfällen. Die nicht erfassbare Dunkelziffer von sexuellen Missbräuchen, die nicht angezeigt werden, wird ca. 20-30-mal so hoch eingeschätzt.

Das heißt, dass etwa 200.000 – 300.000 Übergriffe im Jahr in der Bundesrepublik vorkommen! Diese Ziffern sind alarmierend und alle gut gemeinte Aufklärung scheint diese Zahl keineswegs herunterzudrücken. Dabei kommt sexueller Missbrauch nicht nur an jungen Mädchen vor. Auch Jungen sind davon betroffen. Täter sind hierbei sowohl ältere Jungen und Männer, als auch ältere Frauen.

Wie können wir helfen?

Hilfe ist bei sexuellem Missbrauch auf verschiedenen Ebenen nötig, um zu schützen, vorzubeugen, um überwinden zu helfen und zu echter Buße, Vergebung, Versöhnung und Neuanfang zu führen. Hier möchte ich auf das hilfreiche Buch von Josh MacDowell hinweisen „Handbuch Jugendseelsorge“ (Christl. Verlagsgesellschaft Dillenburg).

Hilfe für Opfer:

Opfer von sexuellem Missbrauch brauchen eine einfühlsame verständnisvolle, geistliche Begleitung.Opfer von sexuellem Missbrauch brauchen eine einfühlsame verständnisvolle, geistliche Begleitung. Geduldiges Zuhören, das das Opfer versteht, das mitleidet, Mut und Trost zuspricht und immer wieder auf den großen Arzt, unseren Herrn und Gott, hinweist und mit sensiblem Empfinden im Gespräch bleibt. Mit einem Gespräch ist das keineswegs getan!

Zudem muss sexueller Missbrauch angezeigt werden, da es kein „Kavaliersdelikt“, sondern ein Verbrechen ist, das auch von unserer Gesetzgebung geahndet werden muss. Dabei sollte vermieden werden, dass das Opfer „seine Geschichte“ immer und immer wieder erzählen und damit immer wieder durchleben muss. Es braucht viel Zuneigung und Liebe, viel Gebet, Zuspruch und Annahme. Das Opfer sollte möglichst aus dem Umfeld des Täters genommen und wenn es geht, auch nicht immer wieder mit dem Ort des Geschehens konfrontiert werden. Wir sollten mit ihm an die Zukunft denken, Richtungen aufzeigen und Ziele setzen. Ein Leben in der engen Beziehung mit dem Herrn Jesus und das beständige Abgeben der herunterziehenden Gedanken im Gebet sind die besten Hilfen, die wir geschändeten Menschen vermitteln können.

Hilfe für die Täter:

Mit einer Ächtung und Bestrafung des Täters ist das Geschehen nicht abgetan! Strafe nimmt Schuld nicht weg! Zwei Jahre habe ich regelmäßig ein „psychologisches“ Gefängnis besucht und mit den dort Inhaftierten gesprochen. Hier saßen häufig Sexualstraftäter ein, die bemerkten, dass das Absitzen ihrer Strafe sie nicht von ihrer Schuld befreite.

„Wie kann mein Denken verändert werden?“
„Ich habe Angst vor mir selbst, wie bekomme ich meine Triebe unter Kontrolle?“
„Wie kann ich überhaupt den Menschen draußen wieder unter die Augen treten?“

Ziel aller Gespräche und Gebete muss eine wirkliche Vergebung und Versöhnung zwischen Opfer und Täter sein. Doch weiß ich aus Erfahrung, dass das oft ein langer, langer Weg ist, dessen Ziel häufig nicht erreicht wird.

Ich weiß, ich habe Schuld an deinem kaputten Leben.

Hilfen für die Vorbeugung und die Erziehung:

Zum einen gehört Aufklärung unserer Kinder dazu. Sie müssen wissen, dass sie „Nein“ sagen dürfen und müssen, wenn sie unsittlich berührt werden, dass sie nicht schweigen dürfen, wenn etwas vorgefallen ist. Zum anderen ist es für uns Eltern wichtig, dass unsere Kinder nicht aufreizend gekleidet sind, dass wir sie vor Situationen bewahren, in denen sie durch ältere Kinder oder Erwachsene in Gefahr kommen können. Zur Vorbeugung gehört unbedingt auch, dass wir unseren Kindern die biblischen Grundsätze der Sexualität vermitteln können. Das heißt: Sexualität und dazugehörige Zärtlichkeiten gehören ausschließlich in den Schutzraum der Ehe. Dazu einige Bibelstellen:

  • 1. Mose 2,24
  • 2. Mose 20,14
  • Matthäus 5,27-28
  • 1. Korinther 6,9-10.18
  • Epheser 5,3
  • Kolosser 3,5
  • 1. Thessalonicher 4,3
  • Hebräer 13,4