„Klönstunden“ mit geistlicher Dimension

Dieser Artikel dient dazu uns Sinn und Ziel einer Zweierschaft näher zu bringen.
„Klönstunden“ mit geistlicher Dimension

1. Einordnung

In einer christlichen Arbeit gibt es Aktivitäten auf drei Ebenen: im großen Rahmen (Plenum), in der Gruppe und schließlich zu zweit. In der folgenden Darstellung kommt die zunehmende Naheinstellung – bei fließenden Grenzen – zum Ausdruck:

Für die Navigatorenarbeit ist es charakteristisch, dass bei ihr der Schwerpunkt traditionell auf der untersten Ebene liegt. Jede christliche Arbeit hat ihre eigenen Betonungen und ihren ureigensten Beitrag. Bei den Navigatoren ist es vor allem die Betreuung von Einzelnen. Und zwar nicht nur da, wo es „brennt“, sondern gerade auch da, wo es „läuft“. Aber es ist schwer, an dieser Betonung festzuhalten. Wo viele geistlich versorgt werden müssen, erscheint die Einzelbetreuung fast wie ein Luxus gegenüber der so viel breiteren Streuung durch Plenumsveranstaltungen und Gruppen. Es bürgert sich dann die Vorstellung ein, die unterste Ebene müsse nur in Ausnahmefällen betreten werden.

Man meint also, bei gesunder Entwicklung sollten die beiden oberen Ebenen die Bedürfnisse des Einzelnen weitestgehend abdecken. Und so kann es passieren, dass in einer Arbeit fast die gesamte gestalterische Kraft darauf verwandt wird, von Semester zu Semester Freizeiten zu planen, geeignete Referenten einzuladen und ein möglichst reibungslos laufendes System von gut geführten Bibelgruppen zu unterhalten. Natürlich ist dies alles sehr wichtig.

Aber wenn darüber das Vordringen auf die unterste Ebene, die Betreuung von Einzelnen, entfällt, dann ist der Arbeit – um im obigen Bild zu bleiben – die Spitze abgebrochen. Die Erfahrung zeigt aber, dass dann eine Arbeit oft zu sterben beginnt. Wo der Blick für das Betreuen einzelner verloren geht, werden die Mitarbeiter und eines Tages auch die Nachfolger fehlen.

Der vorliegende Beitrag soll zur erneuten Konzentration auf die unterste Ebene ermutigen. Zu den Dingen, die sich auf dieser Ebene abspielen, gehört vor allem die so genannte Zweierschaft.

2. Definition

Als ich einmal einen Workshop zum Thema „Zweierschaft“ durchzuführen hatte, rächte es sich, dass im Programm keine Begriffserklärung mitgegeben war. Offenbar war bei vielen der Eindruck entstanden, es würde ein Eheseminar angeboten. Die Zweierschaft, um die es hier geht, ist etwas ganz anderes. Ganz anders auch schon deshalb, weil sie meist zwischen zwei Männern bzw. zwischen zwei Frauen stattfindet. Es sei denn, die Betreffenden trauen sich zu, in einer gemischten Zweierschaft geistliche und romantische Gesichtspunkte auseinander zuhalten. Und da hat sich schon mancher zuviel zugetraut. Man kann also nur abraten. (Natürlich werden auch Ehepaare und solche, die es werden wollen, in ihrer Beziehung viele Elemente der Zweierschaft realisieren. Aber die Ehe ist eine einzigartige Beziehung, und für sie gelten besondere Maßstäbe).

Was ist eine Zweierschaft?

Der Begriff taucht gelegentlich in der Literatur zur praktischen Theologie auf, aber eine feststehende Definition gibt es nicht. Deswegen soll hier ohne Rücksicht auf Vorhandenes eine eigene Definition gegeben werden. Und zwar:

  • „Eine Zweierschaft ist eine freundschaftliche Lern- und Austauschbeziehung zwischen zwei Christen, … „

Diese Ausgangsdefinition, sollte aber idealerweise noch wie folgt ergänzt werden:  „

  • …,wobei möglichst der eine einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung mitbringen sollte“.

Diese Formulierung ist nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss, aber für unsere Zwecke (Praxis, nicht Wissenschaft) genügt sie.

Die Definition soll nun kurz erläutert werden.

  •  … freundschaftliche Beziehung…

Eine Zweierschaft ist nicht eine rein funktionale, dienstliche Angelegenheit. Zwar setzt sie keine dicke Freundschaft voraus. Wo aber keine gegenseitige Sympathie, keine gemeinsame Wellenlänge besteht, da fehlt eine wichtige Voraussetzung. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel, aber es sind eher schmerzhafte Ausnahmen. Dass es sich um eine Beziehung handelt bedeutet auch, dass eine Zweierschaft nicht etwas bloß Kurzfristiges ist.

  •  … Lern- und Austauschbeziehung…

In dieser freundschaftlichen Beziehung soll etwas übertragen werden. Dabei wird weder nur gelernt noch nur ausgetauscht. Eine Zweierschaft ist nicht nur ein biblisch-lebenskundlicher Nachhilfeunterricht. Sie ist aber auch nicht eine bloße Klönstunde. Gegenstand ist übrigens das ganze Leben, nicht nur ein engerer Bereich von „Glaubensfragen“. Für einen Christen sind nämlich alle Lebensfragen zugleich Glaubensfragen.

„Denn in ihm leben, weben und sind wir“.(Apostelgeschichte17,28)
  •  … zwischen zwei Christen…

Damit soll nichts gegen missionarische Beziehungen gesagt sein. Die muss es auch geben, aber sie sind anders gestaltet. Bei dem, was hier definiert wird, geht es um das gegenseitige Auferbauen im Glaubensleben. Und das ist nur unter Gläubigen möglich.

  •  … Wissens- und Erfahrungsvorsprung…

Ist das so wichtig? Hatten nicht David und Jonathan (1.Samuel 18,1 u.a.) eine Zweierschaft ohne eine solche Abstufung? Beziehungen wie die zwischen David und Jonathan sollen gar nicht in Frage gestellt werden. Im Gegenteil. Aber da, wo ein solcher Wissens- und Erfahrungsvorsprung des einen besteht, wird viel eher aus einer bloßen Austauschbeziehung auch eine Lernbeziehung. In jedem Fall ist das Lernen gegenseitig. Es gilt der Gedanke von:

„Denn mich verlangt danach, euch zu sehen, damit ich euch etwas mitteile an geistlicher Gabe, um euch zu stärken, das heißt, damit ich zusammen mit euch getröstet werde durch euren und meinen Glauben, den wir miteinander haben“. (Römer1,11.12)

Der Wissens- und Erfahrungsvorsprung soll dem anderen nicht übergestülpt, sondern ihm in aller Demut zugänglich gemacht werden. Je länger die Zweierschaft andauert, desto mehr wird der Vorsprung schwinden, unter Umständen sogar auf den Kopf gestellt.

  •  … möglichst…

Oft ist einfach keiner da, der einen solchen Wissens- und Erfahrungsvorsprung mitbringt. Dann muss es eben auch ohne gehen. Wenn allerdings die Beteiligten erst ganz am Anfang stehen, wenn also auf beiden Seiten nur ein Minimum an Wissen und Erfahrung da ist, fehlt die Grundlage für eine Zweierschaft.

Ein Blick auf biblische Vorbilder macht deutlich, an was für eine Art Zweierschaft hier gedacht ist. Gott sagt zu Mose im Blick auf dessen designierten Nachfolger Josua:

„Dem stärke den Mut“.(5.Mose1,38)

Und genau das tat Mose. Dabei wurde ihm, je länger, desto mehr, Josua auch eine Hilfe, Ermutigung und Hoffnung. Ruth lernte von Naomi, Samuel von Eli, Elisa von Elia. Die Jünger lernten von Jesus, Timotheus lernte von Paulus. An diese Beziehungen ist bei der obigen Definition von Zweierschaft gedacht. Diese Beispiele machen auch sehr deutlich, dass Zweierschaften nicht nur in der Anfangsphase des Glaubenslebens ihren Platz haben. Eine Zweierschaft ist mehr als nur ein Mittel der Nacharbeit bei Neubekehrten.

3. Praktische Durchführung

Anbahnung

Fragen kostet nichts. Man geht einfach auf den zu, den man ins Auge gefasst hat, und fragt ihn, ob er Lust zu einer Zweierschaft hätte.

Zeitliche Intensität

Vielen der biblischen Lern- und Austauschbeziehungen lag ein Zusammenleben zugrunde. Wohngemeinschaften können ein guter Rahmen für Zweierschaften sein. Voraussetzung sind sie aber nicht. Sie können auch die Lernbereitschaft beeinträchtigen:

„Denn er selber, Jesus, bezeugte, dass ein Prophet daheim nichts gilt“. (Johannes4,44)

Es genügt, dass man sich in regelmäßigen Abständen sieht, einmal die Woche oder einmal alle zwei Wochen. Die Länge eines Treffens dürfte sich bei ein bis zwei Stunden einpendeln.

Inhalte

Drei Dinge sollten jedes Mal stattfinden: Austausch, Bibellesen und Gebet. Die Reihenfolge ist an sich egal. Allerdings: Je besser man sich versteht, desto eher kann es passieren, dass der Austausch alles andere verdrängt. Dann sollten Bibellesen und Gebet vorgezogen werden.

Bibellesen

Man wird natürlich auch beim Austausch hier und da zu den anfallenden Fragen die Bibel konsultieren. Es ist aber wichtig, die Schrift nicht nur auf konkrete Lebensfragen reagieren zu lassen, sondern sie auch um ihrer selbst willen zu Wort kommen zu lassen. Irgendein biblisches Buch sollte kontinuierlich gelesen werden. Dies hat Vorteile gegenüber einer Besprechung von ausgewählten biblischen Themen. Beim fortlaufenden Lesen erübrigt sich nämlich die ständige Frage: Was jetzt? Man liest einfach weiter, wo man letztes Mal stehen geblieben war und lässt sich vom Gedankengang des biblischen Verfassers leiten. Beim fortlaufenden Lesen kommt also viel eher zum Ausdruck, dass beide Beteiligten Empfänger des Wortes sind.

Wenn dagegen einer der beiden den Text bestimmt, werden oft pädagogische Überlegungen im Vordergrund stehen („Was ist diesmal für ihn/sie dran?“). Es kann dann so wirken, als hätte sich der den Text Auswählende gleichsam mit der Bibel gegen den anderen verbündet. Sorge darüber, dass auf diese Weise wichtige Themen ausfallen könnten, ist unnötig. Meist werden sie im Rahmen des fortlaufenden Lesens sowieso irgendwann einmal vom Text her auftauchen. Ansonsten kann man sie jederzeit im Austausch (siehe unten) zur Sprache bringen.

Der Text wird gelesen und das Gelesene wird besprochen. Eine gute Methode, dem Sinn nachzuspüren, ist das Wiedergeben in eigenen Worten. Einer liest einen Vers und formuliert ihn um, macht also gewissermaßen aus seiner „Lutherbibel“ (oder welche auch immer er benutzt) eine „Gute Nachricht.“ Dann ist der andere mit dem nächsten Vers dran.

Austausch

Dieser Teil steht unter dem Motto „Wie geht’s? Wie steht’s?“. Von A bis Z kann alles, was anliegt, besprochen werden (Anfechtungen, Arbeitssuche, … Zahnschmerzen, Zeitplanung). Ziel dieses Austauschs ist nicht eine völlige Transparenz, ein rückhaltloses Aufdecken des jeweiligen Innenlebens. Der gefallene Mensch hat es nötig, sich bedeckt zu halten (1. Mose 3,7.21), physisch und psychisch. Zwar nicht vor Gott; denn

„kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes“. (Hebräer4,13)

Aber voreinander. Diese Bedürftigkeit ist erst in der Ewigkeit aufgehoben; denn die Folgen des Falls, Sünde und Tod, sind erst dann beseitigt. Der Glaube versetzt uns nicht schon in diesem Leben zurück in das verlorene Paradies. Damit soll aber nicht die totale Zugeknöpftheit propagiert werden. Mit der Vertrautheit wächst die Bereitschaft zur Offenheit. In einer Zweierschaft soll gerade das angestrebt werden, was Paulus sich für alle Christen erhofft:

„Ermahnung in Christus, Trost der Liebe, Gemeinschaft des Geistes, herzliche Liebe und Barmherzigkeit“. (Philipper2,1)

Aber Offenheit ist eben nicht notwendige Preisgabe der innersten Geheimnisse der Seele. Wie kann man diesen Unterschied ein bisschen besser erklären? Der im Kirchenkampf bekannt gewordene Hans Asmussen hat in seinem wichtigen Buch „Die Seelsorge“ scharf zwischen Seelsorge und Seelenführung differenziert. Bei der Seelsorge geht es um Sünde und Vergebung, also um gezieltes Aufdecken und Zudecken. Bei der Seelenführung geht es um geistliche Beratung. Diese strenge Trennung beider Bereiche ist problematisch und hat sich aus verschiedenen Gründen nicht durchgesetzt. Richtig ist bei ihr aber die Beobachtung, dass es etwas anderes ist, ob man speziell über Sünden spricht oder über allgemeine Glaubens- und Lebensfragen, Weichenstellungen und „Verlegenheiten“. Deswegen wollen wir uns hier einmal diese Unterscheidung trotz ihrer Problematik als Erklärungshilfe ausleihen.

Nach dieser Terminologie würde nämlich die Zweierschaft, zumindest wie sie hier verstanden ist, zunächst einmal zur Seelenführung gehören. Wenn in ihrem Rahmen dazu auch noch Seelsorge geschieht, dann umso besser. Aber nicht jede Zweierschaft ist unbedingt zugleich eine seelsorgerliche Beziehung. Sie kann sich dahin entwickeln, braucht es aber nicht.

An dieser Stelle besteht also ein großer Unterschied zu der Auffassung, die eine Zweierschaft wesensmäßig als eine Beichtbeziehung versteht. Die hier vertretene Sicht ist sehr entkrampfend. Der, von dem ein Wissens- und Erfahrungsvorsprung erwartet wird, traut es sich vielleicht zu, als Berater zu dienen, aber nicht als Beichtvater . Er braucht deswegen keine Bedenken vor einer Zweierschaft zu haben. Und der andere, der diesen Wissens- und Erfahrungsvorsprung in Anspruch nehmen will, braucht nicht vor dem Gedanken zurückzuschrecken, dass von ihm die Selbstauslieferung erwartet würde.

Gebet

Man sollte nie auseinander gehen, ohne gemeinsam gebetet zu haben. Das Gespräch miteinander mündet ein in ein Gespräch mit Gott. Damit wird ganz deutlich, dass es letztlich nicht um eine Zweierschaft geht, sondern um eine Dreierschaft.

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