Gnade oder Wahrheit -was ist wichtiger?

"Mehr und mehr glaube ich, dass die Spannung zwischen Gnade und Wahrheit kein Problem ist, das eine Lösung sucht. Es ist eine Spannung, die wir aushalten müssen."
Gnade oder Wahrheit -was ist wichtiger?

In unserem Leben begegnen wir immer wieder Spannungen. Oft verstehen wir diese als Problem. Ein Problem wollen wir natürlich lösen. Aber manchmal ist es auch so, dass eine Spannung kein Problem ist, das es zu lösen gilt, sondern eine Spannung, die man aushalten sollte. Da ist zum Beispiel die Spannung zwischen Daumen und Zeigefinger. Wenn wir diese Spannung aushalten wird es überhaupt erst möglich etwas zu greifen. Diese Möglichkeit haben nicht viele Lebewesen. Genauso ist es mit vielen anderen Spannungen: Wenn wir sie aushalten wird es überhaupt erst möglich etwas zu begreifen.

Eine Spannung zwischen Gnade und Wahrheit

Im Gespräch mit Jugendlichen, in Jugendgruppen, in Mitarbeiterteams begegnet mir auch immer wieder eine solche Spannung. Die Spannung zwischen Gnade und Wahrheit. Es gibt oft zwei sehr unterschiedliche Gruppen: Die einen betonen Gnade, die anderen Wahrheit.

Die Wahrheitsbetoner, wie ich sie jetzt mal plakativ nenne, leben ihren Glauben formorientiert. Sie legen Wert auf Feinheiten und machen oft die Nachfolge und Hingabe anderer Christen von diesen Dingen abhängig. Sie betonen Rechtgläubigkeit. Was auf der Strecke bleibt ist oft die Gnade.

Die Gnadenbetoner, wie ich sie jetzt mal plakativ nenne, betonen Individualität, Freiheit und Vergebung und tun sich oft schwer mit Richtlinien. Was auf der Strecke bleibt ist oft die Wahrheit.

Mehr und mehr glaube ich, dass die Spannung zwischen Gnade und Wahrheit kein Problem ist, das eine Lösung sucht. Es ist eine Spannung, die wir aushalten müssen.Vielleicht kennst du diese Spannung aus deiner Jugendgruppe, deinem Mitarbeiterteam oder auch aus deinem persönlichen Leben.

Die Spannung aushalten

Mehr und mehr glaube ich, dass die Spannung zwischen Gnade und Wahrheit kein Problem ist, das eine Lösung sucht. Es ist eine Spannung, die wir aushalten müssen.

Diese Spannung aushalten heißt: in die Mitte kommen. Das ist der Jesus-Weg. Johannes beschreibt Jesus in seinem Evangelium an unterschiedlichen Stellen als „voller Gnade und Wahrheit“ (Johannes 1,14). Jesus ist nicht gekommen, um die Waage zwischen Gnade und Wahrheit zu halten, sondern um beides vollständig zu verkörpern. 100% Wahrheit und 100% Gnade in einer Person. Für uns unvorstellbar, für Jesus kein Problem. In Jesus gibt es keinen Konflikt zwischen Gnade und Wahrheit. Jesus hat also nie das Gesetz verwässert, die Wahrheit entschärft oder die Ansprüche Gottes herabgeschraubt. Nein, er hat sogar die ursprünglichen Ansprüche Gottes neu akzentuiert. Gleichzeitig hat er jedem Gottes Gnade zugänglich gemacht und der Gnade keine Bedingungen verschrieben. Wer Jesus beobachtet bemerkt wie Jesus beides vereint: Er nimmt immer bedingungslos an und gibt immer Orientierung.

Ich wünsche mir mehr und mehr zu lernen diese Spannung auszuhalten – in meinem persönlichen Leben, aber auch im Umgang mit Jugendlichen und in Mitarbeiterteams. Ich will nicht entweder Wahrheit oder Gnade wählen. Jesus lässt keine Wahl. Sein Dienst ist gekennzeichnet von einer fetten Ladung Gnade und einer genauso fetten Ladung Wahrheit. Das ist herausfordernd und lebensspendend. Deshalb will ich Gnade und Wahrheit gleich verpflichtet sein.