Geistlicher Missbrauch

Wenn Glaube schadet Eigentlich sollte der christliche Glaube zu einer gesunden Entwicklung der Persönlichkeit beitragen. Eigentlich sollte ein Charakter …
Geistlicher Missbrauch

Wenn Glaube schadet

Eigentlich sollte der christliche Glaube zu einer gesunden Entwicklung der Persönlichkeit beitragen. Eigentlich sollte ein Charakter heranreifen, der von Liebe, Freude, Frieden und den anderen positiven Eigenschaften der Frucht des Geistes bestimmt wird. Eigentlich sollte eine starke Identität entstehen, die geprägt ist von der Überzeugung, dass ich in mir selbst sündiger bin als ich jemals befürchtet habe, aber in Christus geliebter bin als ich jemals gehofft habe (frei nach Timothy Keller). Eigentlich sollte ein Leben aufblühen, das aus der Ruhe geführt wird, die uns von Jesus geschenkt wird, der uns die Last abnehmen möchte. Eigentlich sollte ein Leben aufblühen, das aus der Ruhe geführt wird, die uns von Jesus geschenkt wird, der uns die Last abnehmen möchte. Eigentlich.

Leider habe ich auf Freizeiten auch Jugendliche erlebt, die in einem christlichen Elternhaus aufgewachsen sind, deren Charakter, Identität und Leben ganz anders aussah. Ich habe Jugendliche kennengelernt, die von Ängsten geplagt wurden. Jugendliche, die von tiefen Selbstzweifeln geplagt wurden. Die sich immer schlecht fühlten. Nie genug waren. Bei denen eine (falsche) Hoffnung auf Heilung nicht in Erfüllung gegangen ist.

Und ich leide zutiefst darunter, wenn der Glaube an Jesus schadet, statt aufzubauen.

Was ist geistlicher Missbrauch?

Als ich immer wieder beobachtet habe, dass (ein falsch verstandener) Glaube zu negativen Entwicklungen führen kann, habe ich mich mit dem Thema „geistlichem Missbrauch“ beschäftigt.

„Geistlicher Missbrauch ist der falsche Umgang mit einem Menschen, der Hilfe, Unterstützung oder geistliche Stärkung braucht, mit dem Ergebnis, dass dieser betreffende Mensch in seinem geistlichen Leben geschwächt und behindert wird.“ [1]

Was bedeutet das konkret? Nachfolgend drei Beispiele, wie ein schädliches Glaubenssystem aussehen kann. Wichtig ist zu verstehen, dass nicht immer, aber sehr häufig aus guten Motiven gehandelt wird. Jedoch wird in allen unten beschriebenen Systemen Macht falsch eingesetzt.

  1. Machtmissbrauchender Leiter

Ich bin zutiefst überzeugt, dass weise Leitung sehr wichtig ist für das aufblühen einer Gruppe. Aber ich habe auch festgestellt, dass die Macht, die mit Leitung einhergeht, missbraucht werden kann. Die Mitglieder fixieren sich auf die Leitung. Kritik an ihnen ist kaum möglich. Die Leitung übt (psychischen) Druck aus. Das alles wird damit legitimiert, dass die Leitung durch Gott eingesetzt ist.

  1. Charismatische Versprechen

Wenn du nur genügend glaubst und betest, dann … wirst du endlich Kinder bekommen, gesund oder ein anderes Anliegen von dir wird Realität. Ich glaube an Wunder – daran, dass Gott übernatürlich eingreift. Aber wenn ich die Bibel richtig verstehe, dann ist dieses übernatürliche Eingreifen Gottes nicht verfügbar für uns. Leider kenne ich einige Geschwister, denen eine große Hoffnung auf Heilung gemacht wurde, die sich aber nicht erfüllt hat. Zurück blieben sie mit dem Gefühl, nicht genug geglaubt und gebetet zu haben. Zurück blieben sie mit dem Gefühl, nicht genug geglaubt und gebetet zu haben.

  1. Gesetzliche Systeme

Der Glaube an Jesus zeigt sich in der Lebensgestaltung. Manche Gemeinschaften neigen jedoch dazu, starre Regelsysteme zu erschaffen. Hier muss man bestimmten geistlichen Standards entsprechen, die sich meist in Äußerlichkeiten zeigen – so muss man aussehen, das darf man nicht tun. Missbräuchlich werden diese Gemeinschaften dann, wenn sie andere beschämen, die ihre Ansichten nicht teilen. Menschen fühlen sich in diesen Systemen oft niedergedrückt, weil sie merken, dass sie den strengen Maßstäben nicht gerecht werden können.

Kennzeichen [2]

Grenzverletzendes Verhalten

Ein Merkmal von geistlichem Missbrauch ist, dass der Leiter oder die Gemeinschaft auf unangemessene Art in die Privatsphäre eindringt. Anvertrautes wird beispielsweise weitererzählt, Offenheit und Gehorsam gegenüber den Leitern eingefordert.

Ein-grenzend

Es entstehen Kontaktverbote – manche werden ausgesprochen, oft reichen auch einfache Andeutungen. Eine Zusammenarbeit mit anderen Gruppen findet kaum statt, vor der Beschäftigung mit Gedankengängen Anderer wird eher gewarnt. Dadurch entstehen Denkverbote, die Menschen in starke innere Spannungen führen können.

Überhöhung und Idealisierung der eigenen Gemeinschaft

„Unsere Leitung macht keine Fehler. Wir haben die beste Lehre.“ Die eigene Gemeinschaft wird idealisiert.

Entwertung von Menschen

Wer die eigene Gruppe überhöht, entwertet andere. Der Mensch zählt nicht, seine Bedürfnisse werden kaum beachtet. Individualität ist eher negativ besetzt.

Manipulation

Kommunikation und Begegnung ist nicht von Offenheit, echtem Interesse, Wertschätzung und Respekt geprägt, sondern dient dem Erreichen der eigenen Ziele. Dieser Wille wird verdeckt durchgesetzt, indem sozialer oder geistlicher Druck ausgeübt wird.

Verzerrtes Evangelium

Dein Heil, Gottes Liebe und Annahme musst du dir verdienen. Es werden Lasten aufgelegt, die kein Mensch tragen kann (Lk. 11,46).

Was tun?

Wahrnehmen

In diesem Artikel findest du nur kurze Hinweise, was geistlicher Missbrauch ist. Mir ist es wichtig zu betonen, dass nicht jedes starke Handeln eines Leiters, nicht jedes Gebet um Heilung, nicht jede Regel einer Gemeinschaft gleich Missbrauch ist. Als Christen brauchen wir Leiter, die Hoffnung auf übernatürliches Eingreifen und auch Regeln innerhalb einer Gemeinschaft. Aber wir müssen uns auch eingestehen, dass all diese Dinge – absichtlich oder unabsichtlich – missbraucht werden können.

In einem Buch habe ich eine Frage gefunden:

„Bringen Ihnen Ihre geistlichen Beziehungen die Ruhe und den Frieden, wie Jesus verheißen hat, oder mehr Unruhe und Last?“ [3]

Offenheit

Hast du den Eindruck, dass deine Leitung ihre Stellung nicht verantwortungsvoll nutzt? Werden Heilungsversprechen gemacht oder ein Regelsystem aufgerichtet? Hast du dein Eindruck, dass die Grenzen deiner Persönlichkeit verletzt werden oder du eingegrenzt wirst? Neigt deine Gemeinschaft dazu, sich selbst zu idealisieren und den Einzelnen zu entwerten?

Dann such dir Leute, mit denen du darüber sprechen kannst. Wenn du merkst, dass dir gerade in deiner Gemeinschaft niemand einfällt, mit dem du darüber reden kannst, dann ist es ein weiteres Indiz, das etwas nicht richtig läuft. Nutze dann auf jeden Fall die Gelegenheit, mit einer weisen Person außerhalb deiner Gemeinschaft zu sprechen. Die Evangelische Allianz in Deutschland hat Clearingbeauftrage berufen, die bereit sind zuzuhören und mit den Betroffenen gemeinsame Vorwürfe und Vorkommnisse aufzuarbeiten.

 


[1] Johnson/VanVonderen, Geistlicher Missbrauch, S. 23

[2] Die ersten 4 Kennzeichen habe ich aus dem Artikel von Katharina Kluitmann übernommen. Sie stammen aus katholischen Kontext, lassen sich aber meiner Einschätzung nach sehr gut übertragen: https://www.orden.de/dokumente/4._Aktuelles/Themen/Missbrauch/ok_innenseiten_ok_2_2019_kluitmann.pdf

[3] Johnson/VanVonderen, Geistlicher Missbrauch, S. 32