Freundschaft erleben

Über das Wesen von Freundschaft und einige Freunde, die unser Leben bereichert haben.
Freundschaft erleben

Mit „Ein Freund, ein guter Freund“ sangen die Comedian Harmonists sich in den 20er Jahren in die Herzen der Menschen. Zu allen Zeiten haben Menschen sich nach Freunden gesehnt, Freundschaft gelebt und gefeiert, mit Freunden gestritten und gelacht, Krisen durchlebt und Glücksmomente gefeiert.

Wer ist ein Freund? Was ist das Wesen der Freundschaft? Wir verstehen darunter Folgendes:

„Ein Freund ist ein Mensch, der einem vertraut geworden ist und mit dem man freiwillig gerne Zeit verbringt.“

„Typen“ von Freundschaft

Statistisch gesehen kennt jeder Deutsche 1500 bis 2000 Menschen mit Namen, aber nur 3,3 Menschen davon empfindet er als Freunde. 17 Prozent aller Befragten gaben an, keinen einzigen Freund zu haben. Rein statistisch gesehen gibt es demzufolge in Deutschland etwa 250 Millionen Freundschaften¹. (¹Aus dem Magazin Emotion Mai 2006) Jede Freundschaft ist verschieden, einmalig, unverwechselbar, hat Geschichte, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und ihre eigene „Kultur“. Trotz aller Unterschiedlichkeit gibt es doch einige Grundbedürfnisse des Menschen, die in Freundschaften ausgelebt werden.

Dabei ist es in den seltensten Fällen so, dass ein Freund oder eine Freundin alle Bereiche abdecken kann. Allroundfreunde für alle Lebensbereiche sind selten. Die meisten Menschen pflegen Freundschaften, die einen bestimmten Lebensbereich stärker ausfüllen als andere. Die unterschiedlichen Gestaltungs-Schwerpunkte einer Freundschaft tragen keine Wertung in sich: Reden ist nicht besser als Auto reparieren und engagiert über Politik und soziale Fragen zu diskutieren nicht weniger wert, als einander praktisch zu helfen oder zusammen zu beten. Eine aktive, von gemeinsamen Unternehmungen geprägte Freundschaft ist nicht weniger kostbar als Freundschaften, deren Hauptfokus der tiefe Austausch über Lebensfragen ist. Und im Zeitalter der Globalisierung kann eine Freundschaft, die man per Telefon und Internet pflegt und in der auf Grund von Lebensumständen Begegnungen von Angesicht zu Angesicht nur selten möglich sind, intensiver sein als die Beziehung zu einem Freund, den man häufiger sieht. Es gibt keine Stereotypen, wie Freundschaften aussehen sollen, aber die meisten Freundschaften entwickeln sich um einen oder mehrere der folgenden Aspekte herum:

  • Kommunikation – über alles, was das Leben ausmacht: Erlebnisse, Beziehungen, Familie, Politik, Gesellschaft, Kunst…
  • Praktische Hilfe –von Renovieren bis Umzug, Autoreparieren und Computerhilfe, aber auch Unterstützung im Beruf und Lebensführung
  • Gemeinsame Aktivitäten – von Sport über kreative Hobbies bis hin zu kochen oder Kino

Wandel von Freundschaften im Lauf der Zeit

Wie alle lebendigen Systeme sind Freundschaften dem Wandel unterworfen. Der Wandel, der sich durch geänderte Lebensumstände ergibt, kann sowohl die Gestaltung bestehender Freundschaften, als auch die Auswahl von neuen Freunden beeinflussen. Wenn Lebensumstände, Wohnorte und das berufliche Umfeld sich ändern, findet manche Freundschaft aus der alten Zeit im neuen Lebensraum erst mal keinen Platz mehr. Ich (Kerstin) erlebte das gegen Ende meiner Studienzeit, als viele meiner Freunde heirateten und Familien gründeten. Da war in ihrem vollen Leben zwischen Berufsbeginn und Kindererziehung erst einmal kein Raum mehr, um eine Freundschaft zu einer Single-Frau, mit der sie nur wenig aus ihrem aktuellen Leben teilen konnten, weiter zu pflegen. In manchen Fällen wurde der Faden der Freundschaft nach Jahren der Kleinkindphase wieder neu aufgenommen – in anderen nicht.

Freundschaft unter Frauen (von Kerstin Hack)

Frauen wurden bis weit in die Romantik hinein tiefere Emotionen abgesprochen. Man dachte, nur Männer seien zu tieferen Gefühlen und echter Freundschaft fähig. Heute hat sich die Perspektive gewandelt und häufig werden Männerfreundschaften von den Medien als weniger tief beschrieben, als Freundschaften von Frauen. Das liegt auch daran, dass Männer sich lieber in größeren Gruppen, Frauen sich vorzugsweise im kleineren Rahmen treffen. Ein anderer Grund ist der, dass Männerfreundschaften häufiger auf gemeinsamen Aktivitäten gegründet sind. Das wird im Allgemeinen als „nicht so tiefgehend“ bewertet, wie der kommunikative Schwerpunkt, den Frauenfreundschaften meist haben.

Aber ist das wirklich so? Beruflich habe ich sowohl mit Männern als auch mit Frauen zu tun, war über längere Zeit hinweg die einzige Frau in einem siebenköpfigen Team und habe da etwas von der unterschiedlichen Art mitbekommen, wie Männer Herzlichkeit und Freundschaft zum Ausdruck bringen und leben. Da man jedoch die Qualität einer Freundschaft letztlich nur von „innen“ her beurteilen kann, kann ich nur von meinen eigenen Frauen-Freundschaften erzählen.

Sophie² – die Gesprächsfreundin

(²Namen der Freundinnen und Freunde auf deren Wunsch hin geändert)

Sophie habe ich auf einer Konferenz kennen gelernt und blieb mit ihr in Kontakt. Wir schreiben uns Briefe und treffen uns, wann immer es auf Grund von bis zu 700 km, die zwischen unseren Wohnorten liegen, möglich ist. Ich genieße die Zeit bei ihrer Familie, auch wenn ich mich an den Trubel erst gewöhnen musste. Wir lachen heute noch über meine Irritation auf ihre Fragen: „Willst Du Kaffee? Hast Du auch einen frischen Schlüpfer an?“ weil es einen Moment dauerte, bis ich verstand, dass die erste Frage mir, die zweite ihrer kleinen Tochter galt.

Wenn die Kinder in Schule und Kindergarten sind, stürzen wir uns ins Gespräch. Intensiv erzählen wir uns alle Neuigkeiten und sprechen über die Fragen, die uns beschäftigen. Sophie kann hervorragend analysieren und schafft es oft, den Kern einer Sache zu treffen. Ich schätze ihren Rat sehr – wann immer möglich „live“, aber zur Not auch per Telefon.

Sophie ist eine Frau, die sensibel für Gottes Reden ist. In den unzähligen Stunden, die wir mit Gebet füreinander verbracht haben, habe ich durch sie viele hilfreiche Antworten bekommen.

Sie würde alles tun, um mir beizustehen.

Sie ist eine ausgesprochen kreative Frau und die schönsten Geburtstags- oder „Du bist mir wert-voll, so wie du bist!“ – Karten und auch einige der kreativsten und emotional wertvollsten Geschenke meines Lebens habe ich von ihr bekommen. Manche ihrer Karten lese ich immer wieder, weil mir ihre Worte und die schöne Gestaltung einfach gut tun.

Gemeinsame Unternehmungen, wie ein Kurztrip in die Schweiz sind seltene, aber besondere Highlights unserer Freundschaft. Wir freuen uns auf die Zeiten, wo die Kinder etwas größer sind und das eine oder andere Frauenwochenende möglich sein wird.

Regina, die Freundin, mit der ich Dinge bewege

Regina ist die Freundin, mit der ich am engsten verbunden bin. Unsere Freundschaft umfasst wohl fast alle der möglichen Elemente von Freundschaft – von Austausch über gemeinsame Aktivitäten bis hin zu Geschenken, praktischer Hilfe und Nähe sind alle zentralen Aspekte vorhanden. Als wir uns kennen lernten, bestand unsere Freundschaft vor allem aus Gesprächen, doch schon bald entdeckten wir, dass sich eine besondere Kraft entfaltet, wenn wir gemeinsam Projekte planen und durchführen, weil wir uns optimal stärken und ergänzen. Mittlerweile haben wir – gemeinsam mit anderen – eine Jugendgemeinde und eine Hausgemeinde gegründet, um nur einige Dinge zu nennen.

Wir erleben es, dass wir uns gegenseitig stark voranbringen – wenn die eine von uns eine Idee hat, entwickelt die andere sie weiter und umgekehrt. Wir können uns an den Erfolgen der jeweils anderen tief freuen. Sie unterstützt mich häufig durch intensives Gebet und praktische Hilfe. Ohne ihre Gebete, Unterstützung, großzügige Hilfe wäre das, was ich tue nicht halb so kraftvoll, ich würde viel weniger erreichen. Und sie sagt, dass ihr Leben ohne mich viel farbloser und langweiliger wäre, was ich ihr auch gerne glaube. Ich schätze an ihr den Rückhalt, den sie mir durch ihre Gebete gibt – und finde es begeisternd, dass als „Nebenprodukt“ unserer Freundschaft in unserer Stadt vieles entsteht, was ohne die wechselseitige Befruchtung, die wir uns geben, nie hätte entstehen können.

Freundschaft unter Männern (von Uli Marienfeld)

Als Teenager waren wir mit der Handballmannschaft für zwei Wochen in Schweden. Abseits der Zivilisation an einem See. Wir haben stundenlang Fußball gespielt, manchmal versucht, im Wald einen Elch zu entdecken, ab und an einen Baum gefällt, am Wasser die verrücktesten Sachen ausprobiert oder einfach nur in der Sonne gelegen, uns abends die Bäuche voll geschlagen, am Lagerfeuer gesessen und dann bis zum Sonnenaufgang Karten gespielt. Klassische Jungenzeit? Vielleicht auch. Aber ich bin bei Stereotypen skeptisch. Für mich war es über viele Jahre gut, vor allem etwas miteinander zu machen. Andere redeten damals schon eher mehr über persönliche Belange. Persönlichkeiten und Lebensphasen sind unterschiedlich, ebenso die Einbindung in familiäre und berufliche Anforderungen. Familienväter entwickeln andere Freundschaften als Geschäftsleute, die viel auf Reisen sind. Ältere Kraftfahrer pflegen Beziehungen anders als junge Unternehmer. Lehrer mit Kindern haben andere Möglichkeiten und Wünsche als allein stehende Laborspezialisten.

Stefan, der Freund seit 45 Jahren

Unsere Eltern waren schon lange miteinander befreundet, bevor wir uns in der ersten Klasse kennen lernten. Geburtstagsfeiern, von der Grundschule bis zum Abitur in Berlin (West), gemeinsames Engagement in der katholischen Kirche, einander im Blick behalten, während der eine in Göttingen und der andere über Tübingen, Graz und Braunschweig studiert. Hochzeit und Kinder des Freundes miterleben, sich in Hessen in derselben Region wieder treffen, Anteil nehmen an den akademischen und beruflichen Erfolgen wie Problemen des anderen, acht Jahre gemeinsam die Elternversammlungen besuchen, weil jetzt die Söhne in einer Klasse sind.

Als Jungen haben wir miteinander Fußball gespielt, als Teenager sind wir auf Entdeckungsreise gegangen und haben beim Reisen andere Menschen und auch uns selbst besser kennen gelernt. Während mein Glaubensleben sich seit der Studentenzeit in freikirchlichen Bahnen bewegt, hat sich Stefan innerhalb der katholischen Kirche weiterentwickelt. Es gab kurze Momente, in denen wir diese Unterschiede als trennend erlebten, aber wir haben uns zusammen gestritten. Gemeinsames Beten, Freude an künstlerischen Ausdrucksformen von Glauben und Leben verbinden uns. Mein Vater verstarb noch in meiner Schulzeit, meine Mutter wachte aus der Narkose einer Herzoperation nicht mehr auf, als wir Ende 30 waren. Seine Mutter verstarb wenige Jahre danach. Es war für Stefan selbstverständlich, dass er trotz eines vollen Terminkalenders sofort zu mir kam, als er vom Unfalltod meiner Frau erfuhr. Wir haben geweint miteinander, nachdem wir zuvor oft bei Bällen bis in die Nacht getanzt und gefeiert hatten. Wir haben das Leben in Schönheit und Zerbrechlichkeit erfahren.

Seit sieben Jahren wohnen wir wieder knapp zwei Autostunden voneinander entfernt. Es gibt keine festen Termine miteinander, aber wenn wir einander begegnen, dann spüren wir, dass uns inzwischen fünfundvierzig Jahre geteiltes Leben miteinander verbinden. Einen Cappuccino vor der Dresdener Frauenkirche trinken, den Sonnenuntergang bei einem Glas Wein auf der Terrasse genießen oder bei einem Spaziergang im Wald über persönliche Veränderungen oder die Entwicklungen in Kirche oder Gesellschaft reden zu können, sind alles Aspekte unserer Freundschaft. Ich bin dankbar, in Stefan ein Gegenüber zu haben, der mich kennt. An seinen Veränderungen teilhaben zu können und mit ihm über Visionen wie Ängste sprechen zu können, ist ein großes Privileg.

Jörg, der Nachbar

Jörg ist Schlagzeuger, nicht beruflich, aber nach jahrelangen Band-Erfahrungen in seiner Sturm-und-Drang-Zeit mit immer neuer Begeisterung. Wenn ich am frühen Abend im Garten sitzend den Rhythmus der Snare and Drums hörte, dann wusste ich, dass sein Arbeitstag vorbei war. Manchmal konnte man sogar an der Art der Musik erahnen, wie es im Büro gelaufen war.

Jörg habe ich kennen gelernt, als die ältesten unserer jeweils vier Kinder in der ersten Klasse waren. Gemeinsame Verantwortung in der Gemeindegründung, ungezählte Feiern miteinander, Spaziergänge über mittelhessische Felder, das Frisbee-Spielen im Schlosspark unserer Kleinstadt und viel anderes gemeinsames Tun ist mir in Erinnerung. Einmalig aber waren die wöchentlichen Treffen, mittwochs um kurz nach 6 Uhr. Ob Schnee, Regen oder Sonne – fast zehn Jahre lang bin ich an diesem Wochentag etwas früher aufgestanden. Jörg hatte für jeden eine Tasse frisch gebrühten Tee, er spielte Gitarre und wir sangen ein, zwei manchmal auch drei Loblieder. Fast immer schauten wir in Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine, manchmal hatte einer von uns ein Gedicht entdeckt oder war von einer Bibelstelle angesprochen.

Manchmal hörte einer dem anderen einfach nur zu.

Wir segneten unsere Familien, beteten füreinander und die Aufgaben, die vor uns lagen. Nie waren es mehr als 40 Minuten, oft war einer von uns erschöpft, manche Knoten wurden gelöst, manches Leid miteinander geteilt, viele Freuden miteinander bejubelt. Manchmal haben wir uns morgens noch für abends verabredet, aber manchmal gab es wochenlang „nur“ diese „heilige halbe Stunde“.

Auch wenn wir inzwischen in anderen Bundesländern wohnen, ist diese tiefe Verbundenheit geblieben. Wenn ich bei Jörg nach vielen Monaten anrufe, eigentlich nur eine kurze Frage habe, er dann aber doch „Hey, sag mal Uli, wie geht es dir eigentlich?“ fragt, dann erzähle ich schon eine gute halbe Stunde und spüre nach dem Auflegen, wie gut so ein ehrliches Interesse eines Freundes tut.