Es tat so gut, sich richtig tief zu schneiden

Ein packender Lebensbericht über selbstverletzendes Verhalten.
Es tat so gut, sich richtig tief zu schneiden

Mit 10 Jahren habe ich mich zum ersten Mal geritzt. Als ich 12 Jahre alt war, wurde ich in meiner Klasse gemobbt, weil ich anders war. Ich hing immer mit Älteren ab, sah älter aus und verhielt mich auch so. Ich hatte das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Um mich besser zu fühlen, ließ ich mich auf Jungs ein, wurde aber nur verletzt. Ich verlor mich im Selbstmitleid und verletzte mich immer öfter an Bauch und Beinen, aber niemals so, dass man es sehen konnte, weil ich nicht als „Emo“ abgestempelt und in diese Schublade gesteckt werden wollte. Der Selbsthass wurde immer größer, bis ich an den Punkt kam, an dem ich nicht mehr leben wollte.Mir ging es immer schlechter. Ich machte mir selbst Vorwürfe, weil ich wusste, dass Gott es nicht gefiel, wie ich mit mir umging. Ich fing an zu trinken, zu rauchen, zu klauen und zu kiffen. Der Selbsthass wurde immer größer, bis ich an den Punkt kam, an dem ich nicht mehr leben wollte.

Meine Eltern haben davon nicht viel mitbekommen, weil ich sehr darauf achtete, die „perfekte Pastorentochter“ zu sein. Mit meinem Bruder verglich ich mich häufig und fühlte mich immer wie das schwarze Schaf in der Familie und der Gemeinde. Deswegen tat ich alles, um eine Maske vor mich herzutragen. Ich fing an, Gott zu hassen. Ich beschimpfte ihn und gab ihm die Schuld für mein „Leiden“.

Das Ritzen war für mich persönlich sehr wichtig, um mir selber zu zeigen, wie schlecht es mir ging. Das Ritzen war für mich persönlich sehr wichtig, um mir selber zu zeigen, wie schlecht es mir ging. Die Wunden wurden immer tiefer und tiefer. Das Gefühl war unglaublich. Es tat so gut, sich richtig tief zu schneiden. Es war wie wieder atmen zu können. Ich fing dann immer an, am ganzen Körper zu zittern und fühlte mich viel leichter. Es wurde zu einem richtigen Kick. Ritzen ist ein Ventil. Es ist nicht das Problem, sondern nur der Ausdruck des Problems. Es war meine eigene Methode, mit negativen Gefühlen umzugehen.

Meine Eltern bekamen irgendwann mit, was los war. Ich wurde dann in eine Psychiatrie verwiesen. Selbst der Klinikaufenthalt hat vieles Schlimmer gemacht und mir nicht geholfen. Im Endeffekt haben mich viele Sachen vom Ritzen weggebracht. Zum einen wollte ich meinen Eltern nicht wehtun. Ihnen ging es in der Zeit natürlich sehr schlecht. Sie machten sich viele Vorwürfe. Außerdem schämte ich mich und wurde oft dumm angeguckt – ich fühlte mich hässlich. Mir wurde auch bewusst, dass diese Narben mein Leben lang bleiben würden und ich nichts mehr daran ändern konnte. Was mir richtig Motivation gab es zu lassen, war ein Vertrag mit meinen Eltern: wenn ich mich ein Jahr nicht ritze, bekomme ich ein Piercing. Aber schaffen konnte ich es nur durch die Liebe meiner Eltern und meines Freundes. Sie haben mich unterstützt, mir in der Zeit den nötigen Halt gegeben und an mich geglaubt.

Ich habe verstanden, dass Gott mich liebt, um mich weint und mein Retter ist.Meine Beziehung zu Gott wurde immer besser und ich hab immer mehr Heilung und Akzeptanz in meinem Leben erfahren. Ich habe verstanden, dass Gott mich liebt, um mich weint und mein Retter ist. Seine Gnade ist alles, was ein Mensch braucht. Er trägt mich überall durch, und ich bin froh, dass ich den Weg gegangen bin, denn sonst wäre ich nicht der Mensch, der ich jetzt bin. Dafür danke ich Gott! Und immer, wenn ich wieder Zweifel an mir selbst habe, denke ich an einen Vers, der mir gegeben wurde: ,,Ich bin ganz sicher, dass Gott, der sein gutes Werk in euch angefangen hat, damit weitermachen und es vollenden wird bis zu dem Tag, an dem Christus Jesus wiederkommt.“ (Philipper 1, 6) Und daran halte ich fest.

Die Autorin ist der Redaktion bekannt.