Altes Testament? Brauchen wir nicht!

Warum es sich lohnt, die ganze Bibel zu lesen.
Altes Testament? Brauchen wir nicht!

Im Zentrum unseres Glaubens steht Jesus Christus. Er ist der Weg, die Wahrheit du das Leben. Ihm folgen wir nach. Um sein Leben und Sterben, sein Wirken und Lehren dreht sich das Neue Testament. Dort steht auch alles, was für die Gemeinde, das neue Gottesvolk wichtig ist. Brauchen wir da das Alte Testament? Wozu sich mit endlosen Opfervorschriften und unaussprechlichen Namen herumquälen? Wozu blutrünstige Geschichten lesen und sich in eine Welt hineindenken, die scheinbar nichts mit uns heute zu tun hat?

Nun, so drastisch und gegensätzlich würde es natürlich niemand ausdrücken. Doch in Bibelarbeiten und Predigten wird das Alte Testament nicht selten stark vernachlässigt.

Was ist die Bibel?

Auch wenn wir sie mitunter so behandeln, ist die Bibel keine Sammlung abstrakter Lehrsätze. Die Bibel erzählt eine Story. Diese Story beginnt mit der Erschaffung der Welt und des Menschen und findet ihr Ziel in der neuen Schöpfung. Natürlich kann ich bei einem Drama mittendrin anfangen zu lesen und bekomme trotzdem noch die entscheidenden Wendungen der Handlung mit. Aber in der Regel werde ich einiges nicht so verstehen, wie es der Autor gemeint hat und manches sogar ganz falsch interpretieren.

Viele Motive, die Jesus und die Apostel verwenden, stammen aus dem Alten Testament. Wer ihre ursprüngliche Bedeutung kennt und den Zusammenhang, aus dem sie stammen, erlangt ein tieferes Verständnis und bleibt vor eigenwilligen Auslegungen bewahrt.

Wer bin ich?

Die Schöpfungsgeschichte und weitere Texte des Alten Testaments beschäftigen sich mit existentiellen Fragen des Menschseins: Wo komme ich her? Was ist der Sinn des Lebens? Warum bin ich nicht so, wie ich sein sollte? Wieso gibt es so viele Konflikte zwischen Menschen? Auch die besondere Anziehung zwischen Mann und Frau und die Gestaltung dieser Beziehung werden hier erörtert. Wenn ich mich selbst und die Menschen insgesamt verstehen will, dann komme ich um das Alte Testament nicht herum. 

Wer ist Gott?

Die christliche Theologie hat immer wieder versucht, Gott mit philosophischen Kategorien zu beschreiben: allwissend, allgenügsam, allmächtig usw. Auch die Bibel macht mitunter solche Lehraussagen. Doch meistens erzählt sie Geschichten, in denen Gott auf verschiedene Art und Weise porträtiert wird: Er leidet mit, er freut sich, er bereut, er ist zornig, er wirbt, er jauchzt… Nein, dieser Gott ist kein Mensch. Er ist nicht Teil der Schöpfung, aber er ist seiner Schöpfung ganz nah. In diesen Geschichten lernt man Gott auf einer anderen Ebene kennen, als wenn man ein Lehrbuch über ihn liest. Das Alte Testament leistet einen wichtigen Beitrag dazu.

Was ist Erlösung?

Mit seinem erdverbunden Denken bewahrt uns das Alte Testament auch vor einem falschen Dualismus, der alles irdische, menschliche abwertet und sich nach rein spirituellen, jenseitigen Zielen austreckt. Gott hat diese Erde mit ihrer Schönheit geschaffen und er hat Menschen aus Fleisch und Blut als Verwalter darüber eingesetzt. Sein Ziel ist nicht die Erlösung von der Welt und vom Leib, sondern die Erlösung der Erde und des Leibes. 

Was ist die Gemeinde?

Söhne Gottes, Braut, Bundesvolk, auserwähltes Geschlecht, königliches Priestertum, heilige Nation – wenn die Apostel über die Gemeinde schreiben, dann verwenden sie Begriffe, mit denen im Alten Testament Israel charakterisiert wird. Die Parallelität ist nicht zu übersehen.

Und auch wenn es Christen mitunter verdrängen: Jesus ist zuerst der Messias Israels. Das Heil kommt aus den Juden (Johannes 4,22). Doch zugleich öffnet er das Gottesvolk auch für Menschen aus allen Nationen, so dass es jetzt aus Juden und Nichtjuden besteht. Durch den Glauben sind auch wir Abrahams Kinder (Galater 3,7-9). Deshalb haben wir Anteil haben an den Segnungen und am Auftrag Israels. Wenn man also die Mission Jesu verstehen will, und damit auch die Mission seiner Nachfolger, dann muss man das Alte Testament kennen.

Man könnte sagen: Die Geschichte meines älteren Bruders ist nicht direkt meine eigene Geschichte. Und doch ist sie Teil der Geschichte meiner Familie und betrifft damit auch mich. In ähnlicher Weise ist die alttestamentliche Geschichte relevant für die neutestamentliche Gemeinde.

Große Helden

Alle Glaubenshelden, die uns im Neuen Testament vorgestellt werden, sind Personen aus dem Alten Testament. An ihnen können wir lernen, was es heißt Gott treu zu sein und ihm nachzufolgen.

Große Versager

Doch beim Lesen des Alte Testament fallen mehr negative Vorbilder auf als positive. Vor allem das Volk Israel als Ganzes widerstrebt immer wieder Gottes Absicht und Wesen:

  • Israel legt mehr Wert auf religiöse Handlungen als auf einen gerechten Lebensstil. Sabbat, Opfer und kultische Reinheit, die äußeren Zeichen der Gottesbeziehung, werden penibel eingehalten, doch die Mitmenschen vernachlässigt man.
  • Israel freut sich über seine Erwählung und vergisst dabei seinen Auftrag, Licht und Segen für die Welt zu sein. Sie nehmen Gottes Gnade für sich selbst in Anspruch, aber die anderen sind ihnen egal. Ihnen gönnen sie das erbarmungslose Gericht.
  • Mitunter vergisst Israel sogar seine eigene Errettung und will einfach so sein wie alle anderen Völker. Anpassung, d.h. Götzendienst, Ausbeutung und Unmoral sind die Folge.

Alle dieser Gefahren bedrohen auch die Gläubigen des neuen Bundes. Im Laufe Kirchengeschichte ist die Gemeinde Jesu immer wieder in diese Fallen getappt und das obwohl wir den Heiligen Geist haben, der unser Herz neu macht. Deshalb versteht Paulus das Alte Testament auch als eine ernste Warnung an die Gemeinde (1. Korinther 10,1-12).

Altes Testament? Unverzichtbar!

Obwohl mit Jesus Christus ein neues Zeitalter begonnen hat und der neue Bund wirklich besser ist als der alte, hat die Gemeinde zu Recht immer das Alte Testament als Teil ihrer Heiligen Schrift verstanden. Ja, manches ist im ersten Teil der Bibel schwer zu verstehen. Und sicher ist nicht jeder alttestamentliche Text für uns heute relevant. Trotzdem lohnt es sich in diese Bücher einzutauchen, um sich selbst und vor allem Gottes Wesen und seinen Plan mit unserer Welt besser zu verstehen.