Wie lebt man eigentlich aus Gnade?

Als ich Christ wurde, war mir bewusst, wie bitter nötig ich Gottes Gnade als verlorener Sünder habe, aber bis mir klar wurde, wie nötig ich sie auch als …
Wie lebt man eigentlich aus Gnade?

Als ich Christ wurde, war mir bewusst, wie bitter nötig ich Gottes Gnade als verlorener Sünder habe, aber bis mir klar wurde, wie nötig ich sie auch als Christ noch habe, dauerte es noch eine ganze Weile.

Leben aus Gnade – diese Formulierung hat man wohl schon 100-mal gehört. Wenn ein Artikel so überschrieben ist, dann wirkt er automatisch trocken und langweilig. Auch dieser Artikel wird dich vermutlich nicht vom Hocker reißen.

[Denn] Über Gnade zu schreiben oder zu sprechen ist etwas ganz anderes, als wirklich aus Gnade zu leben. Ein Leben aus Gnade wird dich nämlich tatsächlich vom Hocker reißen. Ich kann hier nur anschneiden, was es bedeutet, aus Gnade zu leben. Ich will dich aber ermutigen, dich selbst auf die Suche nach diesem Leben zu machen.

Aus Gnade gerettet. Und dann?

Mit 17 Jahren begann ich, mit Jesus zu leben. Ich war ein geistlicher Senkrechtstarter und wollte möglichst viel für Gott rausholen. Um das zu erreichen, stellte ich hohe Anforderungen an mich selbst und versuchte diese vor allem mithilfe von Disziplin umzusetzen.

Doch Segen, Wachstum und Frieden blieben aus. Stattdessen wurde der Druck immer stärker und ich immer schwächer: Ich versagte immer häufiger, bis ich irgendwann „geistlich“ zusammenbrach.

Mein Vater riet mir: „Versuche, dich einfach von Gott lieben zu lassen.“ Ich hatte mich aber so sehr über Leistung definiert, dass ich keine Liebe oder Anerkennung annehmen konnte, die ich mir nicht selbst verdient hatte. Ich fühlte mich wie der letzte Loser.

Neustart – Leben aus Gnade

Ich war am Ende von mir selbst angekommen, doch es war gleichzeitig auch ein neuer Anfang. Nach ca. einem halben Jahr begann Gott zu mir zu reden und mein Denken zu verändern. Er tat das vor allem durch die Bibel und christliche Bücher[1].  Hier sind sechs Beispiele, wie Gott mein Denken verändert hat:

  1. Vorher sah ich in Gott vor allem meinen Herrn und König, der Gehorsam vor mir fordert. Jetzt begann ich, ihn auch als meinen Vater kennenzulernen, der mich annimmt und liebt wie ich bin. Diese bedingungslose Annahme ist die Basis allen Gehorsams! Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat (1. Joh 4,19) und erst die Liebe gibt unserem Tun ihren Wert (1. Kor 13,1-3)!
  2. Vorher war meine natürliche Reaktion bei persönlichem Versagen, dass ich mich aus Angst und Scham von Gott zurückzog. Wenn ich jetzt falle, flüchte ich mich immer öfter in die ausgestreckten Arme Gottes.
  3. Vorher hatte ich ein verkürztes Verständnis vom Evangelium. Jetzt verstand ich: Jesus ist nicht nur stellvertretend für mich gestorben, damit mir vergeben ist und ich in den Himmel komme. Er ist auch auferstanden und will jetzt stellvertretend in mir leben! Ich darf jetzt lernen, meine Schwachheit zu bekennen und aufzuhören, es selbst zu versuchen. Stattdessen will ich  Jesus vertrauen, dass er es tun wird! Aus Gnade leben bedeutet, aus dem Evangelium zu leben!
  4. Vorher definierte ich meine Identität über Leistung.  Jetzt fand ich sie in Jesus: Heilig, gerecht, geliebt und Gott wohlgefällig bin ich nicht durch das, was ich tue! Vielmehr durch das, was Jesus längst für mich getan hat! Dem kann ich nichts mehr hinzufügen. Selbst alle Werke, die ich jetzt noch tun könnte, bewirkt Gott selbst in mir durch Jesus (Hebr 13,21; Eph 2,10).
  5. Vorher ging ich davon aus, dass geistliches Wachstum sich dadurch vollzieht, dass ich mehr bete, Bibel lese, vom Glauben erzähle oder Gutes tue. Jetzt entdeckte ich: Geistliches Wachstum ist zuallererst Geschenke auspacken! Es geschieht dadurch, dass ich immer mehr entdecke, annehme und lebe, was mir längst in Jesus geschenkt ist.
  6. Vorher verstand ich Imperative in der Bibel als Anspruch, dem ich genügen muss, wenn ich Gott gefallen will. Jetzt verstehe ich sie vielmehr als Verheißungen dessen, was Gott durch Jesus in mir bewirken will. Nicht das Gesetz bringt mich dazu, gottesfürchtig zu leben, sondern die Gnade (Tit 2,11-13)!

Gott hatte begonnen, mein Denken zu verändern und das hat alles verändert (Röm 12,2). Ich darf immer mehr sehen, wie er wirklich ist, wie er mich sieht und was er alles für mich getan hat. So lerne ich, immer bewusster aus Gnade zu leben.

Dieser Prozess dauert nun schon einige Jahre und ist noch lange nicht abgeschlossen. Die ersten drei Jahre waren vor allem frustrierend. Aber alles hat sich gelohnt: Nachdem ich einmal davon gekostet habe, will ich das Leben aus Gnade niemals mehr missen!


[1] Eine wichtige Rolle spielten z.B. folgende Bücher:

Lawrence J. Crabb – „Christsein ohne Krampf: Wie Gott falschen Druck von uns nimmt“

Bob George – „Das Leben ist zu kurz, um die Hauptsache zu verpassen“

Watchman Nee – „Das normale Christenleben“

John Piper – „Von der Pflicht zur Freude“

Timothy Keller – „Der verschwenderische Gott: Von zwei verlorenen Söhnen und einem liebenden Vater“

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