Kampf der Generationen

Der Generationenkonflikt aus soziologischer und entwicklungspsychologischer Perspektive
Kampf der Generationen

Es ist kein Geheimnis: viele Gemeinde durchleben einen immer wiederkehrenden Konflikt der Generationen. Stark vereinfacht dargestellt: Jugendliche stellen Fragen, durch die sich Ältere angegriffen fühlen.

Die gute Nachricht: Irgendwie gehört es dazu, wenn verschiedene Altersgruppen mit verschiedenen Bedürfnissen aufeinandertreffen. Es ist ein Kennzeichen von Leben, wenn die Lebenden in einen kritischen Austausch miteinander treten. Die schlechte Nachricht: Nicht alle Gemeinden meistern diesen Konflikt. Werden kritische Fragen unterdrückt, bleiben Jugendliche auf der Strecke. Beugt man sich allein der Kritik der Jüngeren, rücken Ältere immer mehr an den Rand. Woher kommen solche Konflikte? Sich mit Ursachen zu beschäftigen birgt noch nicht die Lösung, bildet aber eine hilfreiche Stütze, um den Generations-Fronten den Kriegswind aus den Segeln zu nehmen.

Ein allgemeiner Blick

Die gesellschaftliche Entwicklung bewegt sich in den letzten Jahren dahin, dass der Lebensbereich Religion als weniger wichtig empfunden. Allerdings variiert dies je nach Altersgruppe. So empfinden 70% der über 60-Jährigen Religion als wichtig, während dieser Wert bei den 16 bis 30-Jährigen bei gerade mal 42% liegt (Werte für Westdeutschland, in den neuen Bundesländern finden sich noch geringere Werte). Ähnliches gilt in Bezug auf Orte, an denen Werte vermittelt werden. Kirchen und Freikirchen liegen als Vermittlungsort gerade bei den 16 bis 30-Jährigen deutlich hinter der Familie und dem Freundeskreis zurück.

Jugendliche, auch christliche, wachsen geprägt von dieser Entwicklung auf, deshalb beeinflusst sie auch unsere Gemeinden. Während z.B. die ältere Generation der Gemeinde an sich, den Gemeindestunden und der dort vermittelten Lehre, einen hohen Stellenwert zuweist, nimmt dieser bei der jüngeren Generation ab. Das kann sich dann in Themen wie Verbindlichkeit und Gemeindebesuch, aber auch in der Akzeptanz überlieferter Lehren niederschlagen. Der Konflikt scheint vorprogrammiert.

Ein soziologischer Blick

In Deutschland herrscht heutzutage ein hoher Grad an existentieller Sicherheit. Vor diesem Hintergrund verschiebt sich auch das Wertegefüge der Gesellschaft. Herrschte in den Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg noch ein Bedürfnis nach ökonomischer und physischer Sicherheit vor, verändert sich dies zu einem Lebensstil, der nach „Selbstentfaltung, intellektueller und ästhetischer Befriedigung sucht“. So zeigt die neueste Shell-Studie, dass zwar nach wie vor ein Bedürfnis nach Sicherheit unter Jugendlichen besteht, doch ihren Freiraum und ihre Flexibilität in der persönlichen Entfaltung opfern sie diesem Bedürfnis nicht. Im Vordergrund steht also weniger die Sicherheit des gesellschaftlichen Kollektivs, als vielmehr die eigene Zukunft.

Ähnliches zeigt sich mit Blick auf die Sinus-Milieustudien. Das sogenannte „konservativ-bürgerliche“ Milieu, in dem Familien-, Heimat- und Traditionsbewusstsein von hoher Bedeutung sind, umfasst keine 20% der Jugendlichen mehr. Hingegen wachsen die Milieus, in denen eine Betonung von Effizienz, Nützlichkeit, Spaß und Erleben hoch im Kurs liegt. Nur was MIR nützt hat einen Wert.

Stellt man den Fokus etwas enger auf das Thema Religion, Glaube und Kirche ein, erkennen wir eine Verschiebung von der institutionellen Religion in Form von Kirchen und Gemeinden hin zu einer privaten Religionsausübung mit einem individualisierten Glauben. Sicherlich kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht behaupten, dass alle unsere Jugendlichen so denken. Doch sie wachsen in dieser Gesellschaft auf und werden von ihr geprägt. Für die Gemeinde und den Umgang von Jung und Alt entsteht also Konfliktpotential. Im schlimmsten Fall finden wir einen Pool aus mindestens drei Extremen, die miteinander umgehen müssen: Die Reste einer Aufbaugeneration, für die Pflichtbewusstsein, Fleiß, Tradition und Gemeinschaft wichtig waren; die Kinder dieser Generation, die vieles übernommen und bewahrt, aber nicht selbst gekämpft haben; und die immer mehr kommende Generation, für die vor allem Freiheit und Nützlichkeit zählt, nicht aber das Kollektiv. Während also die ältere Seite bewahren möchte, wofür man gekämpft und was sich doch bewährt hat, möchte die jüngere Seite eigene Ideen entwickeln, nicht nur in vorgegebenen Rastern denken und ihren Glauben entfalten. Doch gerade dieser Drang nach Entwicklung und Loslösung von vorgegebenen Denkrastern stellt die Sicherheit der älteren Generation in Frage.

Ein entwicklungspsychologischer Blick

Jeder Mensch entwickelt sich zeitlebens, auch im persönlichen Glauben. Darin stehen sich die Generationen gegenüber. Entwicklungspsychologen sehen bei älteren Menschen einen Glauben, der gereift und erfahren ist und unverrückbare Grundsätze beinhaltet. Doch gerade wegen seiner Reife verfällt er leicht in Dogmatismus und Tradition. Gleichzeitig ringt der reif gewordene Gläubige um seinen Platz in der (Gemeinde) Gesellschaft, denn aufgrund seines Alters droht er, an den Rand gedrängt zu werden.

Dem gegenüber steht der Jugendliche, dessen religiöse Identitätsbildung genau in die Phase des Jugendalters fällt. Erst in der Jugendzeit erlangen Menschen die Fähigkeit zur Selbst- und Fremdreflexion. Dann beginnen sie zwangsläufig, vorhandene Zusammenhänge und gegebene Verhältnisse kritisch zu hinterfragen. Dies gilt sowohl für den in der Familie überlieferten Glauben, als auch für Normen und Traditionen in der Gemeinde.

Während also die einen ihren Platz und ihre Identität in der Gemeinde erst finden müssen, wollen die anderen ihren gewonnenen Platz und ihre gereifte Identität bewahren. Der Konflikt zwischen dem hinterfragenden Jugendlichen und dem bewahrenden Älteren ist zwangsläufig vorprogrammiert. Dabei fordern Jugendliche gerade in einer Zeit, in der das Bildungsniveau steigt, komplexere Erklärungsansätze. Die Zeiten, in denen auf die Lehre der Väter verwiesen wurde, sind vorbei. Vor allem dann, wenn wir uns Jugendliche wünschen, die eine persönlich gereifte Beziehung zu einem lebendigen Gott haben.

Ein Ausblick

Vielleicht eine etwas ernüchternde Betrachtung? Ja und nein. Ja, weil sie uns zeigt, dass wir Konflikte zwischen den Generationen nur schwer umgehen können. Nützlich ist es, wenn wir uns eingestehen, dass wir das Rad der Gesellschaft nicht zurückdrehen oder aufhalten können. Nein, weil sie uns herausfordert, nach den Chancen zu suchen. Wenn Jugendliche Fragen stellen, egal ob sie gesellschaftlich oder durch die persönliche Entwicklung bedingt sind, liegt darin immer eine Chance zur Entwicklung. Entweder entdecken wir neue Wege oder wir festigen durch die gemeinsame Auseinandersetzung das, was bereits vorher Bestand haben. Dann haben wir es aber generationsübergreifend gefestigt und nicht zu Lasten einer Generation.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen im cj-lernen.de Spezial „Jung & Alt in der Gemeinde“. Das Magazin kann unter www.cj-lernen.de/spezial3.pdf online betrachtet oder in unserem Shop bestellt werden.