Denken erlaubt

Dietrich Bonhoeffer ist dafür bekannt, dass er anders dachte als die anderen und sich dafür einsetzte. Sein Elternhaus war es, das ihn lehrte selbständig zu denken.
Denken erlaubt
Jeder andere Ort außer der Bibel ist mir zu ungewiss geworden.

Dietrich Bonhoeffer – ein großer Name der jüngeren deutschen Kirchengeschichte. Das Gedicht „Von Guten Mächten“ hat fast jeder schon gehört, gesehen oder gesungen. Und mancher weiß sicher auch, dass er als Widerstandskämpfer gilt und im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 im April 1945 auf direktem Befehl Hitlers ermordet wurde. Für Bonhoeffer war der Tod die letzte Stufe auf dem Weg zum eigentlichen Leben, er wusste sich in Gott geborgen.
Doch wie ist er zu diesem Glaubensmann geworden? Welche familiären Startbedingungen hatte er in Sachen Glauben?
Dietrich Bonhoeffer stammte aus einer, wie man sagt, guten, großbürgerlichen Familie. Sein Vater war Professor Karl Bonhoeffer, Neurologe und Psychiater, eine Koryphäe in seinem Fach. Zusammen mit seiner Zwillingsschwester Sabine wurde Dietrich im Februar 1906 als Nummer sechs und sieben von acht Kindern geboren. Die Familie verstand sich als christlich-fromm. Christliche Feste wurden gefeiert, Taufe und Konfirmation waren obligatorisch und wichtig, zur Kirche hingegen ging man äußerst selten. Gleichzeitig legte die Mutter jedoch Wert auf abendliches Choralsingen und Nachtgebet der Kinder. Der Vater hingegen wird als „religiös zurückhaltend“ beschrieben. Verantwortlich für fromme Aktivitäten im Hause Bonhoeffer war die Mutter, prägende Autoritätsperson jedoch der Vater. Wichtig war den Eltern, dass ihre
Kinder eigene Persönlichkeiten entwickelten und auch eigene Leistungen brachten. Sie legten hohe Wertmaßstäbe an, wie Echtheit, Treue, Genügsamkeit oder Bescheidenheit und vermittelten den Kindern Selbstbewusstsein und Selbstbeherrschung. Gleichzeitig hatte man in Not und Schwierigkeiten immer mit anderen mitzudenken, mitzufühlen, und Verantwortung zu tragen.

Dietrich wuchs behütet und in einem gewissen Wohlstand auf. Da die Kinder zu selbständigen Persönlichkeiten heranwachsen sollten, genossen sie alle geistigen Freiheiten und wurden zum Denken angeregt und herausgefordert. Man nahm nichts einfach so als gegeben hin. Oberflächiges Gerede konnte der Vater nicht ausstehen, und über Dinge zu reden, die weder Hand noch Fuß hatten, oder nicht zu Ende gedacht waren, brachte eine väterliche Rüge ein (was zeitweise dazu führte, dass die Kinder recht still waren und gar nichts mehr sagten).

Für die Zukunft ihrer Kinder hatten die Eltern natürlich anspruchsvolle Vorstellungen. Gemessen an den gewählten Studiengängen seiner Geschwister, wie Physik, Jura oder Biologie, erschien Dietrichs Wahl „Theologie“ eher verblüffend, bescheiden und auch unverständlich. Wie konnte ein so hochintelligenter junger Mann, wie Dietrich Bonhoeffer es zweifellos war, sich an eine so veraltete, überholte und tote Organisation verschwenden, wie die Evangelische Kirche Deutschlands? Seine Brüder verstanden es nicht. Und die Eltern auch nicht. Die Wahl wurde belächelt, doch akzeptiert und er dabei genauso unterstützt, wie die anderen Geschwister. Seine Familie erwartete, dass er zumindest die Universitätslaufbahn einschlagen und Akademiker werden würde. Dietrich dagegen hatte von Anfang an praktische Gemeindearbeit als Pastor im Sinn.

Die tatsächlichen inneren Beweggründe für diese Berufswahl lassen sich nur schwer ermitteln. Fest scheint aber, dass Glaube oder Überzeugung dabei keine Rolle spielten. Vielmehr ging es wohl um den Drang nach Selbständigkeit und unverwechselbarer eigener Verwirklichung. Er wollte etwas leisten, was die Geschwister nicht vollbrachten! Und nur weil er Theologie studierte, hieß das noch lange nicht, dass er jetzt regelmäßig die Kirche besuchen oder die Bibel lesen würde. Nein, nur was im Rahmen des Studiums nötig war. Mehr nicht. Erst mit Beendigung seines Studiums scheint es einen inneren Prozess gegeben zu haben, in dessen Verlauf Dietrich die Bibel und damit Gottes Wort und das Gebet für sich entdeckt hat. Bonhoeffer selbst hätte das sicher nicht als „Bekehrung“ bezeichnet (und hat wohl auch nie öffentlich darüber gesprochen, weshalb es nur wenig Belege für diesen Prozess gibt), aber ich denke schon, dass man es so nennen kann. Denn ganz klar spielt nun in seinem weiteren Leben Gott und sein Wort eine entscheidende Rolle! Dietrich beschrieb es in zwei Briefen so

„Dann kam etwas anderes, etwas, was mein Leben bis heute verändert und herumgeworfen hat. Ich kam zum ersten Mal zur Bibel … Ich hatte schon oft gepredigt, schon viel von der Kirche gesehen, darüber geredet und gepredigt – und ich war noch kein Christ geworden. … Ich hatte auch nie, oder doch sehr wenig gebetet. Ich war bei aller Verlassenheit ganz froh an mir selbst. Daraus hat mich die Bibel befreit und insbesondere die Bergpredigt. Seitdem ist alles anders geworden. Das habe ich deutlich gespürt und sogar andere Menschen um mich herum. Das war eine große Befreiung.“


„Ist es dir nun … verständlich, wenn ich die Bibel als dieses fremde Wort Gottes an keinem Punkt preisgeben will, dass ich vielmehr mit allen Kräften danach frage, was Gott hier zu uns sagen will? Jeder andere Ort außer der Bibel ist mir zu ungewiss geworden. …Seit ich gelernt habe, die Bibel so zu lesen – und das ist noch gar nicht so lange her – wird sie mir täglich wunderbarer.“

Die elterliche Prägung des „selbständig Denkens und alles Bedenkens“, sowie die große geistige Freiheit und gleichzeitig Toleranz, blieben weiterhin wichtig, doch Gottes Wort steht noch darüber und ist wichtiger. So kann er Aufgaben und Verantwortung in der Kirche und für die Kirche, und vor allem für Menschen übernehmen, die ihm schlussendlich das Leben kosten, weil er sich Gott verantwortlich und in Gott geborgen weiß.